Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Walde benehmen.«
»So was mache ich auch nur bei Damen«, konterte Jäckle. Diese Paula Nickel verunsicherte ihn, und wie immer in solchen Fällen, von denen es zum Glück nicht viele gab, verbarg er sein Gefühl hinter möglichst rauhen Umgangsformen.
Jäckle zog seinen Mantel aus und betrat das Wohnzimmer. Der Raum wirkte groß und hell und war sparsam möbliert.
»Sehr schön«, sagte er, obwohl er das alles schon kannte, doch beim letzten Besuch hier wären Komplimente über die Einrichtung sicherlich fehl am Platze gewesen.
»Französischer Nußbaum«, erklärte Lilli, die seinem Blick gefolgt war, »das meiste gehörte meinem Mann.« Die Farbe von Paulas Haar, fuhr es Jäckle unpassenderweise durch den Kopf. Auf dem Boden und an den cremefarbenen Wänden befanden sich Teppiche, die aus der ganzen Welt zu stammen schienen und trotzdem untereinander harmonierten, dazwischen ein paar moderne Bilder und Keramiken, mit denen er zwar wenig anzufangen wußte, die aber immerhin einen interessanten Kontrast zu den Antiquitäten bildeten. Es gab wenige Pflanzen, was Jäckle sehr gefiel, er konnte Zimmer, die Dschungeln glichen, nicht ausstehen. Lediglich ein paar duftige Farne waren wirkungsvoll plaziert, so daß die milde Spätnachmittagssonne ungehindert durch die weißen Sprossenfenster hereinströmen konnte und das helle Ahornparkett matt und edel aufglänzen ließ. Nicht schlecht, dachte er beeindruckt, wobei er annahm, daß das eher Lillis als Paulas Handschrift war.
»Bitte, nehmen Sie doch Platz«, unterbrach Lilli seine Betrachtungen, und er gehorchte artig.
»Tja«, seufzte er, als Paula den mitgebrachten Kuchen auspackte, »es gibt leider überhaupt nicht viel Neues, und das trotz eines riesigen Ermittlungsaufwands. Außer, daß wir unserem Hauptverdächtigen nichts, aber auch gar nichts nachweisen können und wir ihn morgen wieder laufen lassen müssen.«
»Armer Jäckle«, streute Paula etwas Salz in die Wunde, »ein zerknitterter Mantel macht eben leider noch keinen Colombo.«
»Paula!« Tante Lilli wandte sich an den Gast. »Sie müssen schon entschuldigen, Herr Jäckle …«
»Bruno.«
»Bruno. Ich dachte, ich hätte ihr in all den Jahren etwas Benimm beigebracht, aber Sie sehen ja …«
Jäckle grinste und begann sich wohl zu fühlen. Die Anwesenheit von Lilli, diesem schillernden Exemplar aus einer aussterbenden Klasse wahrhaft großer Damen, bewirkte seltsamerweise, daß er mit Paula unverkrampfter als sonst umgehen konnte.
»Ich glaube nicht, daß er’s war«, sagte Paula ernsthaft, während Lilli sich um den Kaffee und die Verteilung der Tortenstücke kümmerte.
»Ananassahne oder Nußcreme, Monsieur Bruno?«
Jäckle hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Nußcreme, bitte.«
»Woher kann er eigentlich so gut deutsch?« erkundigte sich Paula.
Jäckle lachte kurz auf. »Du wirst staunen. Zu DDR-Zeiten war er Korrespondent für eine russische Zeitung, in Ost-Berlin. Stand den damaligen Regierungskreisen recht nahe, wie es so schön heißt.«
»Ein Journalist?« fragte Paula ehrlich verwundert.
»Ja«, grinste Jäckle, »eine verwandte Seele, sozusagen. Als es dort keine Regierung mehr gab, war er seinen Job los und mußte zurück. Zu der Zeit hatte er eine deutsche Freundin und ein Kind mit ihr. In seinem Bauwagen haben wir Bilder gefunden. Zuerst dachten wir, es sei Max. Aber es waren Fotos von seinem Sohn.«
»Was ist aus ihm geworden? Und aus der Frau?« Paulas Sinn für Fair play sagte ihr, daß es feige von ihr war, Jäckle als Informationsquelle zu mißbrauchen, nur weil sie selber in Gegenwart dieses Mannes zu gehemmt war, um auch nur die harmloseste Frage zu stellen.
Aber Jäckle gab bereitwillig Auskunft: »Er und seine Mutter besannen sich auf ihre deutschen Vorfahren. Aber es dauerte zu lange, bis seine Ausreise bewilligt war. Als die zwei endlich hier waren, war die Frau mit ihrem Kind weg. Das hat ihn völlig aus der Bahn geworfen – Alkohol, naja, das übliche.« Er seufzte. »Deshalb geht er auf Spielplätze, vielleicht sucht er da eine Erinnerung an seinen Sohn. So ungefähr haben wir das aus ihm rausgequetscht. Er redet nicht gerne. Komisch ist schon, daß Max seinem Sohn so ähnlich sieht. Aber ein Beweis ist das nicht.«
»Er kann es doch gar nicht gewesen sein«, ergriff Paula Partei. »Er war hier. Er hat hier gearbeitet. Man bringt doch nicht während der Gartenarbeit so nebenbei mal ein Kind um!«
»Warum ist es dir so wichtig, daß er’s nicht war?«
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