Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
Licht, das immer näher kam, er sah bunte Sterne und hörte laute Rufe, die sich überschlugen. Der Spielzeugrevolver fiel klappernd zu Boden. Schritte näherten sich, er fühlte, wie ihn zwei grobe Hände packten und ins Licht hinauszerrten, weg von seinem Freund, der im Dunkel zurückblieb.
Paula deckte den fest schlafenden Simon noch einmal zu und streichelte ihm die kühle Wange. Sie kämpfte mit den Tränen. »Es wird alles gut werden«, flüsterte sie, »das verspreche ich dir.« Dann ging sie die Treppe hinunter. In Lillis wulstigem Ledersessel saß Doris.
»Er schläft«, sagte Paula, »und ich werde jetzt auch bald ins Bett gehen.« In Wahrheit wollte sie nur endlich allein sein. Zeit haben, für sich. Zeit zum Nachdenken, Zeit zur Freude, Zeit zur Traurigkeit.
Aber Doris überhörte den Wink und nahm ihr Gespräch an der unterbrochenen Stelle wieder auf: »Das Dumme an der Sache ist, daß dieser ekelhafte Jäckle jetzt als Held dastehen wird. Aber wenigstens wird er mich dann endlich mit seinen haarsträubenden Verdächtigungen in Ruhe lassen.«
Paula reagierte ungehalten. »Der ekelhafte Jäckle fühlt sich ganz und gar nicht als Held.«
Doris wechselte den Kurs: »Was wird jetzt aus Simon?«
»Ich glaube, er wird das ganz gut verkraften. Morgen will die Kinderärztin …«
»Das meine ich nicht.«
»Was dann?«
»Ich denke dabei eher an unsere liebe Frau Schönhaar.«
Paula spürte wieder diese Faust um ihren Magen. Daran hatte sie in all dem Trubel überhaupt noch nicht gedacht. »Du lieber Himmel!« flüsterte sie.
»Es würde mich nicht wundern, wenn sie in Bälde vor der Tür steht und Simon in ein Heim einweist. So ähnlich hat das doch in dem Brief gestanden, oder nicht?«
Paula wurde schwindlig: »Du meinst wirklich, daß sie dazu fähig wäre?«
»Fähig und befugt. Sie wird dir die Geschichte so auslegen, daß du nicht in der Lage bist, auf dein Kind zu achten. Immerhin wäre es beinahe das Opfer eines perversen Kinderschänders geworden.«
Paula schlug die Hände vor das Gesicht. »Oh, Gott«, stöhnte sie. »Das ist zuviel. Allmählich weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Was soll ich jetzt tun?«
»Ihn verstecken.«
»Was?«
»Hör zu«, Doris rückte vor bis auf die Kante des Sessels und sah Paula eindringlich an, »wenn er erst einmal in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie ist, dann siehst du ihn bis zum Prozeß nie wieder. Und wie der ausgeht, das kannst du dir ausrechnen. Sie werden ihn holen und dir nicht einmal sagen, wohin sie ihn bringen.«
»Meine Anwältin …«
»Die kann nichts tun außer Briefe schreiben, wenn er erst einmal fort ist. Dann dauert alles sehr, sehr lange, glaub mir.«
Paula hatte eine Idee: »Ich werde ihn zu Tante Lilli schicken!«
»Tante Lilli«, schnaubte Doris, »dort werden sie ihn zuerst suchen.«
»Aber was dann!« rief Paula verzweifelt.
»Ich könnte mit ihm wegfahren.«
»Nein!« Paula merkte, daß sie es herausgeschrien hatte. »Schscht, Paula«, mahnte Doris, »du weckst ihn noch auf. Warum schreist du denn so?«
»Ich gebe Simon nicht aus der Hand«, beharrte Paula stur.
»Paula«, sagte Doris beruhigend, »es soll doch nur für ein paar Tage sein. Was wirst du tun, wenn die Schönhaar Montag früh mit zwei Polizisten vor der Tür steht?«
»Ich werde selbst mit ihm wegfahren.«
»Das ist doch zwecklos.«
»Warum soll das zwecklos sein?« entgegnete Paula aufgebracht. Wieso nur waren ausgerechnet ihre Vorschläge dumm oder unmöglich?
»Paß auf«, erklärte Doris geduldig, wie zu einem uneinsichtigen Kind. »Wir wollen doch nur Zeit gewinnen. Du mußt hierbleiben und herausfinden, was die Schönhaar vorhat. Vielleicht kann deine Anwältin wirklich etwas tun. Im Grunde kann die Schönhaar dir doch nichts Konkretes vorwerfen, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Aber das wird sie noch wütender machen, und den Prozeß werden wir haushoch verlieren.«
»Der Prozeß ist im Moment zweitrangig. Vielleicht solltest du die Zeit nutzen, um Klaus zu einem Rückzug der Klage zu bewegen. Aber dafür mußt du hierbleiben, und Simon muß an einem sicheren Ort sein, bis wir wissen, was Sache ist, verstehst du?«
Paula nickte. In Wirklichkeit verstand sie nicht alles. Ihr schwirrte der Kopf.
»Wo … wo willst du denn mit ihm hin?«
»In den Süden«, antwortete Doris prompt. »Italien vielleicht, oder Griechenland. Kreta soll im Vorfrühling sehr schön sein. Es wird einfach ein kleiner Urlaub sein, eine Abwechslung,
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