Mordskind: Kriminalroman (German Edition)
nach all der Aufregung. Du wirst sehen, es wird Simon sogar guttun.«
Paula hatte ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache. »Ich werde drüber nachdenken. Jetzt würde ich gerne schlafen gehen.«
»Oh, natürlich.« Doris erhob sich hastig. »Aber überlege nicht zu lange. Wenn, dann wird die Schönhaar bald handeln. Nacht, Paula.«
Stadtkurier – Samstag, 25. Februar 1995 / Seite 1
Die Bestie von Maria Bronn ist gefaßt!
Geglückte Rettungsaktion in der alten Ziegelei! Sohn einer Mitarbeiterin in letzter Sekunde aus der Gewalt des Mörders befreit.
(sz) – Der Kindermörder von Maria Bronn wurde gestern nachmittag auf frischer Tat ertappt. Hauptkommissar Bruno Jäckle von der hiesigen Kripo gelang es, den vierjährigen Simon Nickel ohne Blutvergießen aus der Gewalt des Verbrechers zu befreien. Simon verschwand gestern gegen 16.00 Uhr von einer Faschingsveranstaltung. Wie er in das Waldstück nahe der alten Ziegelei gelangt ist, ist zur Stunde noch ungeklärt. Sicher ist, daß dem Kind dort der achtunddreißigjährige Kolja Bosenkow begegnet ist. Der verhaltensauffällige Mann wurde bereits im Zusammenhang mit den Mordfällen Benjamin Neugebauer und Max Körner mehrmals vernommen, mußte jedoch immer wieder aus Mangel an Beweisen entlassen werden. Makabres Detail: Der Täter und sein drittes Opfer kannten sich: Bosenkow war als Aushilfsgärtner bei den Nickels tätig gewesen. Er nutzte das Zutrauen Simons skrupellos aus und lockte ihn in die stillgelegte Ziegelei. Dort wurde er von Hauptkommissar Jäckle und Kommissar Hofer überrascht. Der Täter ergab sich den Beamten ohne Widerstand.
Hauptkommissar Bruno Jäckle war gestern zu keiner Stellungnahme bereit. Bosenkow hat bis jetzt kein Geständnis abgelegt. Dr. Monz von der Staatsanwaltschaft ist dennoch der Überzeugung, daß der deutschstämmige Russe für den Tod der anderen beiden Kinder verantwortlich ist. Die Leiche Benjamin Neugebauers wurde bis heute nicht gefunden.
Die Ermittlungen dauern an, es sieht jedoch ganz danach aus, als könnten die Bürger unserer Stadt endlich wieder aufatmen.
»Wo ist Simon? Wo ist dieses Weibsstück, damit ich ihr gründlich Bescheid sagen kann?« Lillis Augen sprühten kalte Funken, wie Wunderkerzen. Da sich keines der gesuchten Objekte zeigte, richtete sie den Blick auf ihre Nichte. »Und du? Bist du denn komplett übergeschnappt, Paula, an so etwas überhaupt nur zu denken? Ihn ausgerechnet mit Doris wegzuschicken?«
Selten hatte Paula ihre Tante so in Rage erlebt. Heute, am Samstagmorgen, hatte sie Lilli angerufen und aus dem Bett geholt, um ihr von den gestrigen Ereignissen zu berichten, ehe sie es aus den Zeitungen erfahren würde. Dieser Bericht vom Schulze wieder! Gleichzeitig fragte sie Lilli, was sie von Doris’ Vorschlag hielt. Zwei Stunden später stand Lilli vor der Tür. Sie hatte Gepäck für mehrere Tage dabei und schnaubte wie ein Rennpferd vor dem Start. Paula fand, Lilli sah frischer aus als bei ihrem Weihnachtsbesuch. Offenbar hatte sie ihren Liebeskummer überwunden, womöglich trug die Wut ihr Teil dazu bei. Jedenfalls verlieh sie ihrem Teint ein frisches Rosa.
Ohne auf Paulas Antwort zu warten, stapfte sie ins Haus. » Simon ?« Die Kristallgläser in der Vitrine vibrierten. Paula sah ihr die Erleichterung an, als Simon angerannt kam.
»Tante Lilli! Hast du mir was mitgebracht?«
Lilli ging etwas steif in die Knie und drückte Simon an sich. »Nein, Cherie. Aber wir lassen uns was einfallen. Außerdem ist ja bald dein Geburtstag, nicht wahr?«
Lieber Himmel, was bin ich für eine Rabenmutter, dachte Paula im geheimen. Simons fünfter Geburtstag, in etwas mehr als drei Wochen, den hätte ich womöglich noch vergessen.
»Tante Lilli, am anderen Tag habe ich ein geiles Abenteuer erlebt …« Zeitbegriffe waren Simon noch immer suspekt. Was nicht an diesem Tag geschah, fand eben »am anderen Tag« statt, das konnte in der Gegenwart oder in der Zukunft liegen.
»Was für ein Abenteuer?« fragte Lilli.
»Ein supergeiles.«
»Das«, rief Lilli und zog entrüstet die Augenbrauen hoch, »kommt allein vom Fernsehen!« Das Fernsehen rangierte auf Tante Lillis nach unten offener Skala der verachtenswerten Errungenschaften der Menschheit auf einem der tiefsten Ränge, vergleichbar mit Big Macs, Mißwahlen und Silikonbrüsten.
Paula nahm sich Lillis Gepäck vor und trug es hinauf in das Zimmer, das Lilli schon als Mädchen bewohnt hatte; allerdings standen jetzt Möbel darin,
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