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Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Mordskind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Mordskind: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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sehen. Für ein paar Sekunden trat Schweigen ein. Dann sagte Doris, mit einer Stimme wie dünnes Eis: »Na gut. Wenn das so ist, dann hat sich das ja erledigt.« Paula hörte Schritte, langsame, feste Schritte voll verhaltener Wut. Kurz darauf schlug die Haustür zu, es folgten energische Rufe nach Anton, Protestgeschrei von Simon, Lilli, die nach Simon rief, Hundegebell, Kindergeheul …
    Paula ging zurück ins Zimmer und sank auf das breite Bett. Was für ein Durcheinander! Würde es jemals wieder Ruhe in ihrem Leben geben? Ruhe, Frieden und Sicherheit? Sie fühlte Ärger aufsteigen, diesmal auf Lilli: Schon wieder eine Entscheidung über meinen Kopf hinweg, dachte sie. Aber dann rief sie sich zur Ordnung. Schließlich war Lilli noch keine Viertelstunde hier, sie hatte kaum Gelegenheit gehabt, sie in ihre Pläne einzuweihen. Und wie sie mit Doris umgesprungen war! Genauso hätte Paula sie abblitzen lassen, wenn nicht … Ihr wurde heiß. Die Vito-Sache! Ich muß Lilli davon erzählen. Sie darf Doris nicht unnötig provozieren. Wenn das mit Vito jemals ans Licht kommt, dann kann mir auch Lilli nicht mehr helfen.
    Doch erst nach dem Abendessen, als der aufgedrehte Simon endlich ins Bett verfrachtet worden war, ergab sich die Gelegenheit zu einem ungestörten Gespräch.
    »Was soll ich machen?« klagte Paula. »Ich habe solche Angst, daß sie mir Simon wegnehmen.« Auf einmal fühlte Paula, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen. Verdammt, sie hatte sich wirklich nicht bei Lilli ausheulen wollen wie eine dumme Gans, aber jetzt brach alles Unglück der letzten Wochen aus ihr heraus, die Worte sprudelten, als hätte man eine Sektflasche geschüttelt. In allen Einzelheiten erzählte sie: von dem Unglück mit Vito, wie Doris ihr zunächst geholfen hatte und wie sie jetzt Simon immer mehr vereinnahmte. Sie erwähnte auch den Fund der Perücke, worauf Lilli nur wissend nickte, wie jemand, der eine längst gefaßte Meinung grimmig bestätigt sieht. Nur über Bosenkow schwieg sie. Sie war sich selber nicht, oder jedenfalls noch nicht, im klaren, wie sie seit gestern zu ihm stand und zu der Frage, ob er schuldig war oder nicht.
    Am Ende ihrer Beichte nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und eröffnete Lilli, daß sie aufgrund dieser Probleme schon darüber nachgedacht hätte, von hier wegzuziehen.
    Danach schwiegen sie.
    Paula beobachtete, wie Lilli an den Büchern entlangblickte, genau wie sie selbst es oft tat. Völlig unerwartet sagte Lilli: »Paula, du bist mir nichts schuldig. Ich habe dich zu mir genommen, weil ich es wollte. Aus reinem Egoismus. Nein, unterbrich mich nicht. Irgendwie habe ich genau das getan, was Doris jetzt mit Simon versucht. Ich habe dich deiner Familie entfremdet. Ich wollte selber nie Kinder: Kleine Kinder sind mir ein Graus, abgesehen von Simon. Ich nahm dich mit, weil du mir gefallen hast, deine bedauernswerte Mutter hatte nicht den Hauch einer Chance. Es war leicht, dich zu beeindrucken, ich, die Schauspielerin, die Dame von Welt. Verglichen mit deiner Mutter mußte ich dir zweifellos so erscheinen. Es war nicht unbedingt fair, was ich getan habe.«
    »Aber sie wollte doch gar nicht …«
    »Sie war der Situation nicht gewachsen. Die lange … Krankheit und der Tod ihres Mannes, hinten und vorne kein Geld im Haus, dein älterer Bruder, der schon damals nichts taugte, und dann noch deine Alpträume und dein Schlafwandeln. Sie wußte nicht, daß das eine harmlose Marotte ist, es hat sie verunsichert, nach der ganzen Tragödie mit deinem Vater. Man kann ihr keinen Vorwurf machen, alles wuchs ihr total über den Kopf, und sie war froh, wenigstens ein Problem loszusein. Vielleicht hat sie es irgendwann bereut, als es zu spät war. Vielleicht hätte sie dich später einmal gebraucht.
    »Sie hat zwei Söhne«, sagte Paula schnell. Das Wort »Brüder« wäre ihr nur schwer über die Lippen gekommen.
    »Und eine Tochter. Du solltest sie gelegentlich besuchen. Aber das ist jetzt nicht so wichtig, nicht wahr?«
    Paula nickte. Zur Zeit schien sie nur noch auf den Rat anderer Menschen angewiesen. Ein willenloses Werkzeug war aus ihr geworden.
    »Natürlich kannst du wegziehen«, hörte sie ihre Tante sagen, »aber Weglaufen hat selten ein Problem gelöst. Im Moment scheint mir dafür nicht der richtige Zeitpunkt. Man verläßt die Bühne nicht mitten im Stück!« Paula antwortete nicht. Lilli entkorkte eine Flasche Bordeaux, es war die zweite seit Beginn des Abendessens. Während Paula immer noch an

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