Mordsmöwen
aus.
»Ihr macht, was ich euch sage!«, kreischt unser Scheff und flattert mit aufgespannten Flügeln.
Das wäre das erste Mal, denke ich mir im Stillen.
»Alle Möwen hinterher, habe ich gesagt!«
»Aber Scheff«, sagt Balthasar und tritt mit den Füßen auf der Stelle. »Alle Möwen geht wirklich nicht – Helgi ist immer noch ohnmächtig, der kann nicht fliegen.«
Unser Scheff stöhnt auf. »Warum straft mich der heilige Albatros nur mit dieser Truppe? Was habe ich getan? Also gut – Balthasar, du packst den ohnmächtigen Helgi an den Schwanzfedern und schleifst ihn zum Gartenteich.«
»Okay, ich guck mal, ob ich eine Erste-Hilfe-Äbb habe.« Mit diesen Worten zieht Balthasar sein Smartphone unterm Flügel vor.
»Pack das Ding weg, du sollst Frau Johannsen nicht noch mehr irritieren. Sobald Helgi wieder zu sich gekommen und flugtauglich ist, kommt ihr nach.«
Unser Scheff hat recht, Knuts Mutter sieht wirklich so aus, als würde ihr Kreislauf nicht mehr lange mitmachen. Sicherheitshalber nehme ich meine Sonnenbrille ab und verstecke sie auch unterm Flügel.
Baron Silver de Luft hingegen prüft den Sitz seiner Thunfischdose, tritt vor Frau Johannsen und salutiert. Okay, es sieht mehr so aus, als würde er sich den Flügel vor die Stirn schlagen, aber ich glaube, das ist der guten Frau ohnehin egal, die blasser und blasser wird. »Gnädige Frau, seien Sie ganz unbesorgt. Wir werden den Fall restlos aufklären und uns den Gangster schnappen. Wir werden Ihnen Ihren Sohn zurückbringen, das schwöre ich Ihnen.«
Mit einem Aufseufzen fällt die gute Dame zu Boden, direkt neben Helgi. Das war knapp.
»Um Frau Johannsen ebenfalls kümmern, Balthasar«, kommandiert der Scheff.
»Aber mein Erste-Hilfe-Schein ist so alt wie meine Fluglizenz.«
»Gesicht abschlecken, an den Ohren knabbern. Das wirst du doch wohl noch hinkriegen.«
»Ich bin doch nicht der Bernhardiner-Hilfsdienst!«
»Du machst, was ich dir sage«, kreischt unser Scheff und erhebt sich in die Luft. Er fliegt los, und ich will ihn noch warnen, dass das nicht der Weg zur Ausgangstür ist, sondern die Glastür, die zur Küche führt.
Zu spät.
Baron Silver de Luft prallt an der Glastür ab, schüttelt sich das Gefieder, rückt seine Thunfischdose zurecht und dreht sich breitbeinig zu uns um. Wir senken die Köpfe. Nicht lachen, denke ich. Nicht lachen.
»Alle Mann mir nach! Ahoi, du fliegst voraus. Und wehe, einer aus der Truppe findet das komisch.«
* * *
Truppe … denke ich beim Losfliegen resigniert. Grüppchen wäre wohl der passendere Ausdruck für die gerade mal fünf Möwen, die, mich eingerechnet, nun versuchen, die Spur von Fietje-Spitzbart aufzunehmen.
Immerhin gelingt es mir recht schnell, ihn auf seinem Roller zu erspähen. Dem Möwenhimmel sei Dank noch vor dem Kreisverkehr – denn vor Keitum kreuzen sich die Hauptverkehrsachsen. Nach Norden geht es in Richtung Kampen und List, nach Osten in Richtung Archsum und Morsum und nach Westen in die Metropole, die Keitum zu Zeiten meines Großvaters als Hauptstadt den Rang abgelaufen hat.
Fietje entscheidet sich mit einem waghalsigen Abbiegemanöver für den schnurgeraden Feldweg durch die Tinnumer Wiesen. Ein Feldweg, der friedlicher nicht sein könnte, mit grasenden Kühen, Pferden und Schafen auf den endlosen Weiden – wenn er nicht als Umgehungsstraße von Westerland und damit als Rennstrecke genutzt werden würde.
Fietje schaut sich während seiner rasanten Fahrt immer wieder um, er sieht, dass wir hinter ihm sind. Okay, »wir« ist relativ. Eigentlich nur ich. Harry ist damit beschäftigt, unseren Scheff auf Kurs zu halten, während Grey sich einen Spaß daraus macht, Alki durch wahllos zugerufene Richtungswechsel von selbigem abzubringen. Alki zittern mächtig die Flügel, und er ruft bei jeder Kurve: »Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr!«
»Grey, lass sofort unseren Alki in Ruhe.«
»Ey, ich mach doch gar nix, der fliegt von selber Kurven!«
»Grey …«, droht Harry, aber auch er sieht schließlich ein, dass jetzt keine Zeit für Diskussionen ist. Alki muss irgendwie durchhalten, auch wenn er nicht danach aussieht.
Das Gekreische, das wir veranstalten, genügt aber offenbar, um Fietje in Angst und Schrecken zu versetzen. Er beugt sich tief über seinen Lenker und gibt noch mehr Gas. Dem werden wir es heimzahlen! Als Erstes soll er den Schmuck rausrücken, und dann werden wir aus ihm rauspressen, wo Mensch-Knut ist. Ich gehe tiefer und nähere mich bis
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