Mordsmöwen
auf wenige Flügelschläge dem Roller. Meine Augen tränen von den Abgasen, ich bekomme schlecht Luft, aber das ist mir alles egal. Wenn Suzette mich jetzt nur sehen könnte, wie ich diesen Gangster heldenmutig zu stoppen versuche. Immerhin weiß ich meine Jungs hinter mir. Mehr oder weniger. Ich setze die Sonnenbrille auf, stoße einen markerschütternden Schrei aus, noch zwei, drei Flügelschläge … geschafft! Ich lande auf Fietjes Helm und sauge mich mit meinen Schwimmhäuten fest. Mission eins: erfolgreich.
Halleluja, jetzt fährt Fietje Schlangenlinien – ein entgegenkommender Radfahrer rettet sich durch einen beherzten Sprung in den Wassergraben. Fietje schreit unter seinem Helm, wirft den Kopf hin und her, aber so leicht lasse ich mich nicht abschütteln und klammere mich mit den Flügeln fest. Waah, was macht der denn jetzt?
Vollbremsung. Mit Absicht, um mich abzuschütteln. Quietschende Reifen. Eine Hundertachtzig-Grad-Drehung. Nein, dreihundertsechzig, noch mal neunzig, nein, hundertachtzig. Verdammt, auf Kreisflug ist ein Möwenhirn nicht ausgelegt. Mir wird kotzübel. Ich kralle mich fest, ducke mich und kneife den Schnabel zusammen. Dafür beginnt nun mein Darm zu rumoren. Hundertachtzig, neunzig, dreihundertsechzig … Ich kann’s nicht verhindern. Beschissene Situation, aber er hat’s verdient.
Als ihm der Schiet ins Genick läuft, dreht Fietje völlig durch. Er reißt den Lenker in irgendeine Richtung und gibt Vollgas.
»Du musst ihm die Sicht freigeben«, schreit Harry. »Du verdeckst ihm mit deinen Flügeln die Sicht!«
Augenblicklich lasse ich los. Gerade noch rechtzeitig vor dem Wassergraben.
Mission zwei: erfolgreich.
Fietje rast nun in die Richtung zurück, aus der wir gekommen sind. Und ich denke, ich sehe durch meine Sonnenbrille nicht recht. Da vorne sitzt Alki auf dem Feldweg, mitten auf dem Weg, mit zitternden Flügeln und weit aufgerissenen Augen.
Baron Silver de Luft und Harry schweben über ihm und schreien: »Geh da weg! Alki! Beweg deinen Hintern! Bist du lebensmüde?«
Das Horrorszenario, das sich umgehend vor meinen Augen abspielt, scheint wahr zu werden. Alki reagiert nicht, der ist nicht nur flugunfähig, sondern vor Schreck starr geworden. Fietje ist das egal. Er hupt und schreit wie ein Wahnsinniger, ohne vom Gas zu gehen. Was soll ich nur tun? Mir bleiben noch ein oder zwei Sekunden. Ich setze zum Sprung an, zum Stunt meines Lebens, und lande auf der Lenkstange. Ich umkralle sie, breite die Flügel aus und ziehe mit den Flügeln an den Bremshebeln. Vollbremsung. Dann fliege ich, ohne mit den Flügeln zu schlagen, wie ein Pfeil über den Weg, den Wassergraben und lande auf dem dicken Leib eines der schwarz-weiß gefleckten Tiere, das dösend im Gras liegt.
»Muh«, sagt die Kuh.
»’tschuldigung«, sage ich und flattere etwas benommen zurück auf den Weg.
Unser Scheff, Harry und Grey landen neben Alki, der auf die Fahrbahn reihert. Ansonsten ist unser Kumpel unversehrt – dem Möwenhimmel sei Dank. Und noch besser: Die Sonnenbrille für Suzette ist bei der ganzen Aktion wie durch ein Wunder heil geblieben.
Mission drei: erfolgreich.
Nur Fietje rast jetzt zurück nach Keitum und droht am Ende des schnurgeraden Weges außer Sichtweite zu geraten.
»Auf, Jungs, weiter ihm nach«, rufe ich.
»Ich bewege keinen Flügel mehr«, sagt Alki keuchend. »Lasst mich hier liegen, ich will sterben. Das ist zu viel für meine Nerven.«
»Mann, Alki, ich habe dir gerade deinen verdammten Arsch gerettet«, rufe ich.
»Lass gut sein, Ahoi«, entgegnet der Scheff und legt einen Flügel über Alki. »Ich kümmere mich um ihn. Fliegt ihr diesem Erpresser hinterher und macht ihm den Garaus.«
VIER
Ratlos kreisen wir über dem Keitumer Kreisverkehr.
»Wo würdet ihr an Fietjes Stelle hinfahren?«, fragt Harry.
»Ich denke, er wird zunächst versuchen, den Schmuck zu verstecken.«
»Dann fährt er wieder nach Kampen zur Vogelkoje – los, hinterher!«, rufe ich.
»Das ist Quatsch«, meint Grey. »Der nimmt doch nicht noch mal dasselbe Versteck. Da wäre er ja schön blöd.«
»Menschen haben nun mal nicht so viel im Kopf wie wir, sonst könnten sie fliegen. Fietje weiß ja außerdem nicht, dass wir wissen, was er nicht weiß.«
»Hä?«, fragen Harry und Grey gleichzeitig. Selten, dass sich die beiden so einig sind.
»Fietje weiß doch bestimmt noch gar nicht, dass der Schmuck weg ist, er denkt, wir wüssten nichts von dem Versteck. Also müssen wir in Richtung
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