Mordsmöwen
unruhig. »Die andere Möwe soll weg, sie stiehlt unserer die Show.«
»Da hörst du es! Die Menschen wollen mich! Schau dir mal den Presserummel an. Alle hängen an meinem Schnabel. Und was sagst du da über unseren Scheff? Besoffen? Aber ich habe versagt, weil ich mich auf die Suche nach Zeugen gemacht und die Menschen über die Arbeit unserer Mordkommission informiert habe, ja? Hätte ich stattdessen tatenlos stundenlang auf dem Wohnwagendach rumsitzen sollen? Weißt du was, so langsam scheiße ich auf die ganze Sache. Wo sind überhaupt Harry und Grey? Sollen die dir doch helfen, Fietje aufzuspüren.«
»Die beiden …« Nach kurzem Nachdenken entschließe ich mich, Balthasar die Wahrheit zu sagen, früher oder später wird er es ja sowieso mitkriegen, und vielleicht bewegt es ihn dazu, mich nicht auch noch im Stich zu lassen. »Harry hat mit unserem Scheff ein ziemliches Federlesen veranstaltet und ist mit Grey aus der Truppe ausgestiegen. Die beiden wollen ein neues Leben in Wenningstedt anfangen, abseits jeglicher Kriminalität.«
»Eine weise Entscheidung. Ich kann Harry nur dazu beglückwünschen. Bitte bestell unserem besoffenen Scheff, dass ich fortan ebenfalls kein Mitglied unserer kriminellen Vereinigung mehr sein möchte. Meinen Rücktritt erkläre ich ihm dann auch noch schriftlich.«
»Aber unser Scheff hat doch nur die Flasche …«
»Es ist mir egal, was passiert ist. Wenn er wieder nüchtern ist, kann er sich die Gründe für meinen Rücktritt gerne durchlesen. Der Tod unseres Dealers war ein Flügelwink unseres heiligen Albatros, mich wieder auf den richtigen Weg zu besinnen und eine ehrliche Möwe zu werden. Es hat lange genug gedauert, bis ich das erkannt habe. Suzette, Jonathan, Helgi, Alki, Harry und sein Sohn, sie alle haben einen Neuanfang gemacht.«
»Und wovon willst du leben?«
»Ich werde mich davon ernähren, den Menschen Vorträge über das Möwensterben zu halten und darüber, wie wichtig die Erhaltung unserer Art ist – das ist ehrliche Arbeit. Außerdem werde ich studieren. Das ist schon lange mein Traum.«
»Ich dachte, du hättest schon mal ein paar Semester an einer Universität studiert?«
»Silvester an der Unität heißt das. Das hab ich dir schon mal gesagt. Wenn ich herausgefunden habe, wie man in die Bibliothek in Westerland einbricht, werde ich alle Bücher über die menschliche Seele lesen, und dann werde ich psychotropischer Peratheut. Und jetzt stör mich bitte nicht länger bei der Arbeit. Schau doch, die Ersten gehen schon.«
»Und? Haben sie dir was zu fressen gegeben? Nein! Weil die Menschen uns nicht füttern dürfen. Wir müssen uns das Essen schon von ihnen holen. Die wollten nur ein Foto von dir, mehr nicht.«
»Glaubst du etwa, ich mache mich hier zur Bordsteinschwalbe? Du traust mir wohl kein neues, ordentliches Leben zu?«
»Doch, Balthasar, du schaffst alles – auch mich.« Wutentbrannt, aber auch unendlich enttäuscht, fliege ich zum Polizeiwagen und zu Baron Silver de Luft zurück.
»Das können Sie vergessen – der Fietje hat mal wieder die ganze Nacht gefeiert …«, tönt einer der Nachbarn. Der kommt gerade aus seinem Vorzelt, als ich wieder auf dem Polizeiauto lande. Wenigstens hat der Scheff sich nicht von der Stelle gerührt. Kunststück, so wie der aussieht, macht er eher bald den Abflug ins Jenseits. Hinter dem älteren Mann drängt sich eine braun gebrannte Frau im Bikini heraus, die so viele Falten hat, wie ich Federn am Körper. Beide kommen nach vorn an den Windschutz, der die Grenze zu Fietjes Parzelle bildet. Fietje hat keinen Windschutz und auch kein Vorzelt.
»Der Fietje, der ist vorhin mit seinem Roller weggefahren, obwohl er bestimmt noch nicht nüchtern ist«, sagt die Frau.
Ich fühle mich, als würde ich auf der Stromleitung sitzen. »Scheff«, raune ich. »Alles okay? Wir müssen der Polizei helfen … wir suchen Fietje vom Luftraum aus.«
Baron Silver de Luft reagiert nicht, guckt mich nur stier an und kneift den Schnabel zusammen. Okay, ich helfe der Polizei, aber dazu müsste ich wenigstens wissen, ob Fietje nach Norden oder Süden gefahren ist. Das versuchen die Männer gerade zu klären.
»Wissen Sie, wo Herr Paulsen hingefahren ist, Frau …?«
»Schmidt-Schulze. Natürlich habe ich das gesehen. Ich habe auch gesehen, wie der Pizzabäcker aus Hörnum heute kurz nach Sonnenaufgang den Wohnwagen verließ und vorne beim Parkplatz in ein wartendes Taxi stieg. Die beiden haben nämlich vergangene Nacht
Weitere Kostenlose Bücher