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Mordsmöwen

Mordsmöwen

Titel: Mordsmöwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sine Beerwald
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begrüßt uns mit einem unfreundlichen »Muh«, und obwohl sie so ewig gebraucht hat, lässt sie uns jetzt kaum eine Sekunde Zeit, auf ihren breiten Rücken aufzusteigen. Auf unsere Beschwerde hin murmelt sie was von »Hauptsaison«, ein Wort, das alles entschuldigen soll, und trottet mit uns auf dem Rücken gen Hörnum los.
    »Ich hasse Möwentaxi«, jammert mein Scheff.
    Ich kann kaum verständlich sprechen, weil meine Stimme genauso schaukelt wie der Rücken der Kuh. Warum müssen Taxifahrer immer einen so verdammt unangenehmen Fahrstil haben? Schön immer das Positive sehen, denke ich mir. »Scheff, seien Sie froh, dass wir hier sitzen. Und hoffen Sie lieber, dass wir so bis Hörnum kommen. Nicht dass uns wieder irgendein Polizist die Tour versaut, weil unser Taxifahrer in seinen Augen keine gültige Lizenz hat und festgenommen wird.«
    * * *
    »Es gibt guuute Nachrichten«, trällert mein Ex-Scheff in meinen Schlaf hinein.
    Ich klappe ein Auge halb auf. Wir stehen im Stau, mitten auf der Kreuzung zum Hörnumer Hafen, in Sichtweite zu unserem Crêpes-Stand. Dass die Kreuzung von der Kuh blockiert wird, erschließt sich mir erst, als die zahlreichen Blechvögel ihr Hupkonzert beginnen. Nun bin ich schlagartig wach. Ich informiere unseren Taxifahrer, dass wir hier aussteigen wollen, und falle fast hintenüber, als ich den Tarif genannt bekomme: »Das macht fünfundzwanzig Maiskolben, in kleinen Stücken. Und wehe, die Feder ist nicht gedeckt.«
    Grummelnd reiße ich mir eine Deckfeder aus. Mais habe ich noch genügend auf der Bauernhof-Bank in Tinnum, nur keine Heringe, mit denen ich etwas anfangen könnte. »Bitte schön.« Ich klemme der Kuh die Feder ins Maul. Boah, wie ich diese Wiederkäuer hasse.
    »Kein Trinkgeld?«
    »Ähm, ja doch, klar.« Ich zeige geradeaus. »Da hinten geht es zur Golfplatz-Wiese. Auf dem Parkplatz vor dem Hotel links abbiegen, ist frei zugänglich.«
    Unbeeindruckt von den Blechvögeln trottet sie in die angegebene Richtung.
    »Und was genau war jetzt die gute Nachricht?«, frage ich meinen Ex-Scheff.
    »Heiiimaaaat, oh Heimmaaat«, ruft er und wankt auf den geschlossenen Crêpes-Stand zu.
    Nun sitze ich da, bewache meinen Ex-Scheff beim Rausch-Ausschlafen und habe vor allem eines: Hunger. Ich schaue der Robbe Willi zu – sie erinnern sich, dieses dicke, kugelrunde Vieh, das trotz ihres Namens weiblich ist und als einzige ihrer Spezies seit Jahrzehnten im Hörnumer Hafenbecken lebt, das Jagen völlig aufgegeben hat und sich stattdessen von Touristen füttern lässt. Ich schmiede den Plan, ihr einen zugeworfenen Hering aus der Luft abzujagen.
    In der Ecke des Hafens, wo Willi wohnt, drängen sich wie jeden Tag kleine und große Menschen dicht am Kai und beugen sich so weit vornüber, dass man Angst haben muss, einer von ihnen könnte die drei Meter hinunter ins Wasser fallen. Auch sie lauern, jeder einen Fotoapparat in der Hand.
    Nur wer sich nicht blicken lässt, ist Willi. Dabei war sie vor zehn Minuten, als es einen Hering gab, noch da. Weit weg kann sie nicht sein, nicht in der Hauptsaison. Erstens ist diese kleine Ecke ihr Revier, zweitens weiß sie ganz genau, dass jetzt viele Touristen da sind, und drittens tut sie zwar so, als könne sie keine zwei Meter weit schwimmen. Sobald aber die Saison vorbei ist, schwupps, schwimmt sie raus zur Sandbank vor Sylt, wo ihre Artgenossen leben.
    Jetzt ist es so weit. Ein kleiner Junge kommt mit einem Hering in der Plastiktüte vom nahen Fischhändler die Treppen zum Kai hinunter. Gefährlich nah stellt er sich an die Kante, beugt sich dabei noch weit vor und hält den Hering an der Schwanzflosse am ausgestreckten Arm übers Wasser. Meine Beine zucken, und ich unterdrücke nur mühsam meinen Beutereflex. Das ist ein Kind, und einem Kind jagen wir nichts ab. Möwenehrenkodex.
    Wie aus dem Nichts taucht Willi auf. Wobei auftauchen etwas zu viel gesagt ist. Es ist vielmehr so, dass sie ihren walartigen Körper im Kampf gegen die Schwerkraft an die Oberfläche hievt. Sie hängt sich mit den Flossen in ein knapp unter der Wasseroberfläche verlaufendes Tau ein und streckt dann den Kopf gerade so weit heraus, dass sie den Mund öffnen kann. Clever ist dieses Vieh ja. Und was ich mich schon immer frage: Wie hat sie den Hering, der gut drei Meter über ihr schwebt, aus den Tiefen des trüben Hafenbeckens gesehen? Gerochen? Ich weiß nicht, wie sie das macht. Jedenfalls, wo ein Hering ist, ist auch Willi. Umgekehrt gilt das auch. Letzteres zu

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