Mordsmöwen
der Bibliothek für dich nachschlagen.«
»Du hast es tatsächlich geschafft, in die Bibliothek einzubrechen? Dich schickt der Himmel!«
Balthasar macht einen Schritt rückwärts.
»Nein, nicht so, wie du jetzt denkst. Ich brauche ein Buch, in dem steht, wie man als Möwe seine Nahrung fängt.«
»Was jetzt? Nahrung oder Sex?«
»Beides. Aber die Nahrung ist jetzt erst mal wichtiger.« Ich erkläre ihm wortreich Willis Forderung und die Geschehnisse am Hörnumer Hafen. »Bitte, Balthasar, du musst uns helfen. Sönke streitet vor der Polizei alles ab. Und solange wir Knut nicht finden, kann man ihm auch nichts nachweisen. Sönke könnte aber der Mörder sein und läuft dann frei rum. Wir müssen lernen, wie man Makrelen fängt!«
»In Ordnung. Ich werde sehen, was ich tun kann.«
»Jetzt gleich?«
Balthasar seufzt. »Okay, jetzt gleich.«
»Im Moment ist ja nicht viel los bei dir, keine Zuhörer. Laufen die Geschäfte schlecht?«
Balthasar klappt sein Buch zu und spielt mir Erstaunen vor. »Wie kommst du denn darauf?«
»Na ja, die Menschen laufen alle an dir vorbei. Jeder hat schon ein Foto von dir gemacht, und jetzt haben sie sich anscheinend an dich gewöhnt.«
»Ach was, ich muss nur einen neuen Vortrag ausarbeiten, dann umringen sie mich wieder. Also, du siehst, ich habe zu tun. Aber du hast Glück, heute ist Mittwoch, und jetzt am Nachmittag hat die Bibliothek geschlossen – für mich ist sie also geöffnet. Wir sehen uns dann am Crêpes-Stand.« Er erhebt sich in die Luft.
Das ging einfacher als gedacht. Aber wie ich mein persönliches Karma kenne, bedeutet das nichts Gutes für meine zweite Mission.
Nach stundenlangem Suchen setze ich mich auf die Uwe-Düne in Kampen und schaue hinaus aufs Meer in den Sonnenuntergang, auf die glutroten sanften Wellen, die sich auf den Sand schmiegen, sich scheu zurückziehen und wiederkommen. Den Sonnenuntergang von diesem Platz aus zu beobachten, ist einzigartig – einzigartig scheiße, wenn man Suzette vergeblich gesucht hat. Es ist nicht mal jemand da, den ich nach ihr hätte fragen können. In ganz Kampen scheint es keine einzige verdammte Möwe mehr zu geben. Wie ausgestorben.
Bis auf die eine Möwe, die jetzt von Süden her auf mich zufliegt, aber das ist nicht Suzette, sondern eine männliche Möwe, die ich nicht kenne. Er sieht ein bisschen merkwürdig aus, weil das eine Augenlid hängt, scheint aber sonst ein ganz freundlicher Typ zu sein.
»Hey, bist du etwa nicht zur Party von Mogulis eingeladen, oder hast du dich verflogen?«
»Ich, ähm …«
»Ah, versteh schon, du bist eine Festlandmöwe und wolltest noch mal eben schnell den Sonnenuntergang mitnehmen. Kann ich verstehen, ist ja auch wirklich einzigartig hier auf der Insel. Ich habe mich kurz im Meer ein bisschen frisch gemacht, nach dem langen Tag heute am Strand. Das Leben hier ist aber auch anstrengend, das kann ich dir sagen. Eine Party nach der anderen, man kommt kaum mehr zum Schlafen. Und die Party von Mogulis ist echt das Highlight des Sommers. Er lässt seine Gäste ja von überall her einfliegen – und das einfach so zur Sommerparty, ohne dass es einen weiteren Anlass gibt. Und alle kommen. Also, lass uns schnell zur ›Kupferkanne‹ fliegen, ganz tolle Location, die ihm da gehört.«
Natürlich sage ich nicht Nein. Denn wo Mogulis ist, ist auch Suzette. Ich frage mich nur, ob diese Möwe der Himmel oder der Teufel geschickt hat. Den Flug von der Westseite Kampens zur Ostseite ans Watt über quasselt er ununterbrochen und erzählt mir irgendwelche komischen Geschichten. Irgendwoher kenne ich den Typen, aber ich komme nicht drauf. Ich habe ja auch gerade andere Sorgen.
»Kennst du die Location?«, fragt er mich, weil er wohl mitbekommen hat, dass ich seinen Geschichten nicht so wirklich zuhöre.
»Ja«, entgegne ich. Das veranlasst ihn aber nicht dazu, den Schnabel zu halten.
»Logisch, die ›Kupferkanne‹ ist ja auch weit über die Insel hinaus bekannt. Total angesagt. Tagsüber bei den Menschen, und abends vermietet Mogulis sie inklusive Personal an feierwütige Möwen, die sich das ganz schön was kosten lassen. Der Ort ist ja an sich schon mal zauberhaft. Das Watt im Mondlicht, das Restaurant, das sich unter einem Hügel versteckt, mitten in dem kleinen Waldstück. Hinter jedem Strauchwerk ein neuer hübscher Platz mit Holztischen und Bänken, hinter jedem Hügel eine noch schönere Nische mit überraschendem Blick auf das Watt. Man kann so toll die Zweisamkeit
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