Mordsmöwen
sie der Polizei vorlegen. Bitte bleiben Sie am Apparat.«
Aber da hat »Frau Schatz« schon aufgelegt.
Neun Möwen bilden ein wahres Rollkommando. Jippieh! Wir purzeln durch den Kamin ins Wohnzimmer von Knuts Mutter. Sie springt von ihrem Sessel auf, wo sie in der Zeitung gelesen hat. Nach allem, was wir durch die Polizisten wissen, wurde sie erst heute Morgen aus dem Krankenhaus entlassen. Ihr Gesicht ist weiß wie unser Gefieder.
»Große Güte, wo kommen die Viecher schon wieder her? Weg da, ihr Biester. Kschscht, raus, raus!«
Wir weichen nicht zurück, sondern stellen uns in gerader Linie auf und schreiten vereint auf Knuts Mutter zu. Auf mein Zeichen holt Alki den Stofffetzen unter seinem Flügel hervor und präsentiert ihn ihr.
Sie starrt auf den Gegenstand in seinem Schnabel. Selbst für eine kurzsichtige Möwe ist jetzt unverkennbar, dass dieses Stück Gürtelstoff zu ihrem Hausmantel gehört. Sie macht einen Schritt rückwärts und stößt mit der Wade gegen den Sessel.
»Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu. Wo habt ihr Biester das her?«
Wir kneifen die Augen zusammen, und der Scheff stößt einen Schrei aus, was so viel heißen soll wie: Wir stellen hier die Fragen.
»Raus, kschscht, raus, raus!« Sie fuchtelt wie wild mit den Armen, traut sich aber keinen Schritt mehr vorwärts. Neun Möwen sind eine geballte Macht und, dem Gesichtsausdruck von Knuts Mutter nach zu urteilen, erkennbar Respekt einflößend. »Gott, was soll ich denn tun, damit ihr verschwindet? Sönke!«
»So, Mutter, ich habe deine Kleidung aus der Klinik in die Waschmaschine …« Er bricht mitten im Satz ab und bleibt auf dem Treppenabsatz vom Obergeschoss stehen. »Das Geschrei kam ja gar nicht aus dem Fernseher.«
»Sönke, schaff mir die Viecher vom Hals.«
»Ach du Scheiße, das ist ja ’ne ganze Horde. Wie kommen die denn hier rein? Schon wieder dieselben? Durch den Kamin? Das gibt es doch gar nicht!«
»Nimm den Besen aus der Küche oder am besten gleich die Schaufel aus dem Gartenhaus und jag sie raus.«
»Die Biester sehen nicht so aus, als würden sie mich einen Schritt weit gehen lassen. Und was hat die eine da im Schnabel? Mutter, das ist doch ein Stück von dem Gürtel, mit dem du …«
»Das sehe ich auch!«
»Dann sind wir am Ende … jetzt wird alles rauskommen.«
»Papperlapapp. Hast du jetzt etwa Angst wegen dieser Möwen? Die können uns doch kaum bei der Polizei anzeigen. Es mag ja sein, dass sie diesen Gürtelfetzen aus dem Wasser gefischt haben, aber dass sie nun hier damit erscheinen, ist nichts als ein dummer Zufall. Deine Nerven spielen verrückt, mein Sohn. Das sind Möwen, nur Möwen. Die können nicht eins und eins zusammenzählen.«
Das sitzt. Es wird Zeit, dass Frau Johannsen mit ihren Vorurteilen im Hinblick auf die Intelligenz von Möwen aufräumt, aber die Spezies Mensch neigt in dieser Hinsicht leider zu Überheblichkeit.
Sönke ist von den Worten seiner Mutter nicht überzeugt. »Es mag ja sein, dass die Möwen den Gürtel zufällig aus dem Wasser gefischt haben, aber ich glaube bestimmt nicht daran, dass sie nun auch zufällig hier sind. Ich meine, ganz ehrlich, ist es normal, dass eine Möwe eine Einkaufstüte vom Discounter mit sich herumschleppt oder so ein rostiges Blechding auf dem Kopf hat? Ist das eine verbeulte Thunfischdose?«
Das war das falsche Stichwort für unseren Scheff. Er marschiert auf Sönke zu, plustert sich auf und reckt dem um Fassung ringenden Sönke das Statussymbol entgegen. Wie wild pocht er dabei mit dem Flügel auf die Dose und hält seinen Vortrag über Barone, Hauptfischwebel und andere Regimentsherren aus dem Geschlecht der Silver de Lufts.
Natürlich versteht Sönke keinen einzigen Schrei davon, dennoch wird er zusehends blasser. Mein Scheff, angestachelt durch die scheinbare Wirkung seiner Worte, legt den Kopf in den Nacken, reißt den Schnabel auf und holt zwischen seinen Schreien nicht mal mehr Luft.
Sönke macht einen Schritt rückwärts, den Blick auf uns gerichtet, obwohl er mit seiner Mutter spricht. »Bitte sag mir, dass hier irgendwo eine versteckte Kamera ist. Oder besser doch nicht. Dann wären wir ja erst recht dran. Oh verdammt, hätte ich nur nicht reagiert, als du mich an jenem Morgen im Laden angerufen hast …«
»Du machst dir keine Vorwürfe, hast du verstanden? Es ist allein die Schuld deines Bruders. Hätte er sich nicht plötzlich umentschieden und sich in den Kopf gesetzt, seinen Erbteil doch haben zu wollen,
Weitere Kostenlose Bücher