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Mordsonate

Mordsonate

Titel: Mordsonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: O. P. Zier
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die Haustür versperrt wurde. Dann startete ein Lieferwagen, und das Motorgeräusch entfernte sich. Danach war es still. Nur eine schwere Hummel flog immer wieder gegen die Fensterscheibe. Dem Mädchen war dieses Geräusch aus der Stube ihrer Oma auf dem Land vertraut, wo es in den Sommerferien oft war. Obwohl es diese Erinnerung mit einem angenehmen Gefühl verband, lag das Kind jetzt starr vor Angst im Bett und lauschte angestrengt auf das Zischeln, das aus der Grube zu ihr heraufdrang. Und jedes Mal peinigte sie die Vorstellung, dass das Zischen näher rückte. Kamen die Tiere gerade herauf? Doch die Pausen zwischen den Geräuschen wurden länger und ließen das Mädchen hoffen, dass die Schlangenbald einschlafen würden. Und da das Kind die aus dem Loch aufsteigende Kühle spürte und wusste, dass Schlangen Wärme brauchten, stellte es sich vor, dass sie sich bald träge aneinanderkuscheln und sich sonst um nichts mehr kümmern würden. Obwohl sie diese Vorstellung etwas beruhigte, vermochte Birgit jetzt ihre Tränen nicht mehr länger zurückzuhalten, auch wenn sie sich erfolgreich zwang, ihr Schluchzen zu unterdrücken, indem sie das Gesicht in die Matratze presste. Zudem wagte sie sich nur ganz vorsichtig zu bewegen. Zum Glück hatte das Jucken nachgelassen. Vorsichtig rieb das Kind seinen Rücken am Bettzeug.
    Wo war ihr Rucksack? Das Handy … wie würde Papa schimpfen, wenn sie das verloren … Und dann die Noten! Sie musste doch üben! Der Wettbewerb!
    Mutti, Papa … Längst würden sie nach ihr suchen. Wie spät konnte es denn sein? Sie hatte gar nicht bemerkt, dass ihr die Uhr abgenommen worden war – wahrscheinlich nachdem sie auf dem Klo gewesen war, denn da hatte sie das Uhrband noch gespürt, beim Massieren der Handgelenke. Doch jetzt hätte sie ohnehin nichts gesehen und schon gar nicht dort, wo ihre Arme ans Bett gefesselt waren. Was hatte dieser Mann nur mit ihr vor?! Was würde er ihr antun?
    Unter der Augenbinde stauten sich die Tränen. Während sie fast lautlos schluchzte, dachte sie verzweifelt: Lieber Gott, lieber, lieber Gott, bitte, bitte lass mich bald wieder daheim sein! Keine Sekunde dachte sie mehr daran, dass sie sich heute früh nach dem Streit mit Papa wutentbrannt auf den Schulweg gemacht und sich dabei ständig in trotzigem Zorn gesagt hatte, nie wieder heimkommen zu wollen, nie, nie wieder!
    Müdigkeit erfasste sie. Eine ihr unbekannte Müdigkeit. Als hätte sie sich restlos verausgabt. Ein einziges Mal nurhatte sie etwas Ähnliches erlebt, als sie vor zwei Jahren mit ihrem Opa diese lange Bergwanderung unternommen hatte und völlig erschöpft, aber ungemein glücklich zu Oma heimgekommen und schon auf dem Diwan in der Küche eingeschlafen war, während sie noch aufs Abendessen wartete. Jetzt begann sich sogar ihre Angst in dieser Müdigkeit zu verlieren. Auch war es ihr nun egal, dass sie noch ihre Kleidung und die Sandalen anhatte – noch nie in ihrem Leben hatte sie mit Schuhen geschlafen. Ganz leicht fiel es ihr jetzt, sich in ihre Lieblingsvorstellung zu flüchten, wie sie es beim Einschlafen zu tun pflegte, wenn sie am nächsten Tag etwas Unangenehmes erwartete: Sie stellte sich vor, sich gerade wohlig im Bett eines Schlafwagens zu räkeln, während der Zug mit ungeheurer Geschwindigkeit durch die Dunkelheit davonraste, um schließlich von den Schienen abzuheben und durch die Nacht zu schweben, während ihre Ängste zurückblieben …
    »Also nicht mehr bei Anja, sagen Sie …
nicht
mehr dort … nach ihrem Klavierunterricht gekommen … wie immer gezeigt, wie weit sie … und zur gewohnten Zeit zum Bus gegangen. Und Sie waren vorhin auf der Dachterrasse, ah, verstehe … Anja konnte das Telefon auch nicht hören. Der Schallschutz in ihrem Zimmer, verstehe. Und Birgit hat ihr nicht gesagt, ob sie noch etwas Besonderes vorgehabt … hmmm, ja, vielen Dank, Frau Weger. Nein. Nein, nein – danke, nur wenn Anja noch etwas einfallen sollte, dann bitte … Ja … ja, wir müssen … genau, noch etwas zuwarten und halt weitersuchen. Doch, das glaube ich eigentlich auch, dass es sich bald aufklären … ja genau, vielen Dank nochmals, Frau Weger.«
    Peter stand reglos im Wohnzimmer. Während er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach, obwohl ihn doch die Zuversichtvon Anjas Mutter gerade noch beruhigt hatte, scheute er sich davor, auch nur vage in Annas Richtung zu blicken. Bei einem Umfall … da hätte sich doch das Krankenhaus gemeldet? Oder die Polizei … Hatte er sich

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