Mordsonate
Imitation eines Stilmöbels, schlüpfte aus den Schuhen und nahm die Krawatte ab. Während er sie mit seinem Sakko über den Bügel hängte und danach endlich den Hemdkragen öffnete, an dem er zu ersticken drohte, fiel es ihm schwer, seine Erregung zu unterdrücken, nicht sofort alles von dem preiszugeben, was ihn erfüllte.
Er bemühte sich, ein Gesicht zu machen wie immer, als er nach kurzem Anklopfen die Tür zu Anjas Zimmer öffnete und seine Tochter begrüßte, die mit dem Rücken zu ihm an ihrem Schreibtisch saß, Hausübungen machte und seinen Gruß mit angehobenem linken Arm erwiderte, ohne sich zu ihrem Vater umzudrehen.
Als seine Frau, mit der er die letzten Wochen hindurch beinahe täglich Streit gehabt hatte, in der Küchentür erschien, begrüßte er sie nur kurz auf seine ruppige Art, die durch den mürrischen Ausdruck noch unverträglicher wirkte. Der flüchtige Kuss, den er ihr im Vorbeigehen auf die Wange hauchte, änderte wenig an der für beide so unerquicklichen Szene.
»Was ist denn jetzt schon wieder los?« fragte Petra gereizt.
»Derselbe Scheiß wie gestern. Die wollen mich weghaben, das ist los.«
Er vermied es gerade noch rechtzeitig, wieder Gerlinde zu erwähnen, auf die seine Frau so allergisch reagierte, sobald er ihr von der guten Quelle vorschwärmte, die er sich dadurch erschlossen habe, dass er der Chefsekretärin regelmäßig Blumen vorbeibrachte. Ohne dass sie wissen konnte, was vor einer Woche zwischen ihm und Gerlinde passiert war, hatte Petra sich auch dann noch nicht beruhigt, als er ihr gesagt hatte, dass die Frau doch fünf Jahre älter sei als er und für ihn nichts weiter als eine Auskunftsperson, die an idealer Stelle sitze, um ihn über den jeweils letzten Stand der gegen ihn geplanten Aktionen zu informieren. Hatte er Gerlinde Brunner anfangs wirklich nur sehr berechnend mit seinen Komplimenten überhäuft, so sehnte er sich mittlerweile immer öfter auch außerhalb der Firma nach der Gesellschaft der aus ihm unerfindlichen Gründen alleinstehenden Frau.
Er holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich an die Bar, die den großen Raum teilte.
»Dass diese verfluchten Trotteln auch so abwirtschaften mussten! Mit Ende meines Vertrages wandert mein Posten zu den Schwarzen zurück – nur dass ich nicht wieder zurückwechseln kann. Vor allem wollen diese Schweine das Vertragsende gar nicht abwarten!«
»Die Birgit ist heute nicht heimgekommen …«
»Was?«
»Ihr Vater hat angerufen … sie suchen sie.«
»Ist was passiert?«
Petra zuckte mit den Schultern. Dann wandte sie sich zum Herd, um eine Pfanne vom Kochfeld wegzuziehen.
»War sie nach der Klavierstunde bei Anja?«
»Ja. Und sie ist wie immer rechtzeitig zum Bus gegangen.«
»Wenn sie nicht da ist«, sagte Hans nach kurzemSchweigen missmutig, »kann ja Anja nach Vilnius fahren …«
Seine Frau drehte sich schnell zu ihm um und sah ihn mit einer Mischung aus Verblüffung und Abscheu an, ohne etwas zu entgegnen.
»Als Zweitplatzierte! Ist doch nur logisch«, blaffte er heraus.
Dann setzte er erneut die Bierflasche an, und einmal mehr tat es ihm gut, daheim nicht aus einem Glas zu trinken. Kleinigkeiten wie diese gaben ihm das Gefühl, deutlicher er selbst zu sein; nicht zuallererst mit der krampfhaften Darstellung einer Figur beschäftigt, die er einfach nicht war. Womit er nur Erwartungen entsprach, die in ein Mitglied des Direktoriums der ENAG gesetzt wurden. Ein Verhaltenskodex, von dem ihm von den anderen so genannten Führungskräften sofort, nachdem er in diese Position gekommen war, unmissverständlich klar gemacht worden war, dass er die wichtigste Voraussetzung für seine neue Tätigkeit sein würde.
»Weißt du überhaupt, was du damit sagst?«, hörte er seine Frau in angewidertem Ton vor sich hinmurmeln, sodass sie kaum den Dunstabzug übertönte. Dann drehte sie sich plötzlich noch einmal kurz zu ihm um und fauchte ihn böse an: »Du bist echt ein –«
Aufbrausend fiel er ihr ins Wort: »Aber du … du willst vielleicht nicht, dass dein Kind Erfolg hat, was? Du nicht? Du warst nicht enttäuscht, als sie nur Zweite wurde?! Und wenn man dann dafür was tut, dann –«
»Was tut? Was soll das heißen, was tut? Kannst du vielleicht etwas für sie tun?!«
Er überging diesen Einwurf und setzte aufgebracht fort: »Gerade jetzt, wo überall sowieso nichts zählt als Wettbewerb, Konkurrenz … Wo alle alles tun … wo jedem jedesMittel recht ist. Und nur noch …
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