Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Kriminalpolizist schon »alles gesehen« haben müsste, und so geht es eben auch Richtern und Staatsanwälten. Sie müssen jeden Fall so einordnen, dass er irgendwie anhand geltender Regeln bewertbar ist. Dass es dabei drunter und drüber gehen kann, wenn diese Einordnung eben nicht möglich ist, zeigt der Fall Meiwes.
Für Praktiker sind solche Verwirrungen nicht allzu ungewöhnlich: Es gibt im Arbeitsalltag von Strafverteidigern (und auch bei mir) immer wieder Beispiele dafür, wie die polizeiliche Arbeit durch Denkgewohnheiten erschwert wird. Als der Gebrauch der Partydroge Ecstasy Ende der 1990er-Jahre auf einen Schlag zunahm, lachten sich die Jugendlichen über die hilflosen Versuche der Ermittler kaputt, sich in die Discos einzuschleusen. Den Kids gelang es sofort, die in ihren Augen merkwürdig angezogenen und sprechenden Partygäste zu enttarnen.Es fehlte eben der Einblick in die Denkweise der jungen Drogenbenutzer, die Ecstasy für eine handhabbare Gebrauchssubstanz hielten und nicht verstehen konnten, warum sich Erwachsene darüber aufregten.
Der Strafverteidiger Rolf Bossi berichtet von einem weiteren Fall, in dem Denkgewohnheiten hart aufeinanderprallen. Einer seiner Mandanten hatte bei Sexspielchen, zu denen die beiden gerne eine geladene Waffe verwendeten, aus Versehen seine Ehefrau erschossen (vgl. »Mord oder Liebe«, S. 48 ff. im vorliegenden Buch). Obwohl kein beweisbares Mordmerkmal vorlag (es handelte sich weder um Heimtücke, Mordlust, Habgier, Grausamkeit oder Verdeckung einer anderen Straftat), wurde der Mann wegen Mordes verurteilt. Unser Alltagsverstand sagt dazu: »Recht so! Wer weiß, ob es nicht doch eine absichtliche Tat, also ein Mord war? Es war ja schließlich niemand dabei!«
Doch so funktioniert unser Recht nicht. Entweder kann nachgewiesen werden, dass ein Mordmerkmal vorliegt, oder der Richter muss einen Unfall oder schlimmstenfalls Totschlag annehmen. Denn was man nicht beweisen kann, darf auch nicht als bewiesen gelten. Und in aller Augen berechtigte
Gefühle
gegen einen Täter, den wir sozial nicht verstehen, dürfen kein Grund dafür sein, die
Tatsachen
so lange zu drehen, bis aus einem möglichen Unfall ein Mord geworden ist. Den folgenden Fall habe ich gewählt, weil der Täter wohl bei keinem Leser Sympathiepunkte machen kann. Aber denken Sie daran: Vor Gericht geht es nicht darum, wer es wegen seines Lebenswandels »verdient« hat, ins Gefängnis zu kommen. Das Urteil darf nur berücksichtigen, was bewiesen ist. Wenn nicht genügend Tatsachen ans Licht kommen, muss sich die Waage eigentlich zugunsten des Angeklagten neigen – egal, ob er ein Fiesling ist oder nicht. Bevor ich zum Fall Meiwes komme, hier also gleichsam zum geistigen Warmwerden der Fall mit der Erschießung bei Sexspielchen. Entscheiden Sie selbst, was Sie glauben möchten und was nicht…
Mord oder Liebe?
Der Täter heißt Josef Peters. Er hatte nach seinem Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum Fliesenleger gemacht und lebte als Jugendlicher zeitweise im Heim. Eine Familie gründete er nicht.
Mit vierunddreißig wird Peters berufsunfähig und erhält deshalb eine Rente von fünfhundert Euro. Diese wird ihm allerdings später wieder gestrichen, und er entscheidet sich fortan gegen jede legale Arbeit, die ihm angeboten wird. Stattdessen nimmt er schwarz Aufträge an. »Er ist das«, sagt sein späterer Rechtsanwalt Rolf Bossi über Peters, »was man gemeinhin einen einfachen Mann nennt.«
Obwohl Peters‘ Freunde ihn als »guten Kumpel« beschreiben, sammelt der Mann bis 1989 vier Bewährungs- und Geldstrafen, zunächst wegen Ungehorsam gegen den Vorgesetzten (Bundeswehr), dann aber aufsteigend wegen Trunkenheit im Verkehr, Beleidigung und zuletzt wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubten Waffenbesitzes.
Peters hat stets mehrere Freundinnen und gibt das auch zu. Als sich eine von ihnen 1985 von ihm trennen will, dreht er durch, verprügelt sie brutal und zwingt sie zum Sex.
Eine seiner Geliebten ist Paola Santini, mit der er nicht nur eine Tochter hat, sondern die ihm auch die Kleidung wäscht und damit seine »Hauptfrau« darstellt. Dass Peters Affären hat, weiß sie. Pro forma mietet er einen Garten mit Laube; die Hütte gibt er beim Meldeamt als seine Wohnadresse an. Tatsächlich lebt er aber meist bei Frau Santini oder ist auf Montage.
Als Frau Santini im August 1995 mit der gemeinsamen Tochter zum Gartenhaus fährt, erwischt sie dort Peters mit einer Geliebten und wird von ihm
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