Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
»verachtenswerte Gesinnung« und damit eine geplante Tötung, noch dazu aus niederen Beweggründen. In einem Wort: Mord.
Natürlich passt die Annahme, dass es sich um eine Falle gehandelt haben soll, nicht damit zusammen, dass Frau Santini ihrer Tochter am Telefon gesagt hatte, dass sie bei ihrem Lebensgefährten Peters übernachtet. Denn entweder wollte sie bei ihm übernachten und die Beziehung wie üblich mit Sex kitten, oder sie wollte sich trennen, hätte ihm aber kaum an diesem gemeinsamen Abend im schwarzen Kleidchen den Trennungswunsch eröffnet. Oder doch?
Da niemand hier vernünftig entscheiden kann – Vernunft spielte am verhängnisvollen Abend ohnehin keine Rolle –, mussten auch die Verhandlungen vor den beteiligten Gerichten unvernünftig ablaufen. Verteidiger Bossi verbiss sich in die Theorie vom Unfall, das Gericht konnte sich nicht vorstellen, dass es sich hier wirklich um ein Sexspielchen gehandelt haben sollte, und die Staatsanwältin hatte ihre ganz eigenen Probleme. Noch einmal Rolf Bossi:
»Wenigstens verweigerte sich die Staatsanwaltschaft dieser abenteuerlichen Art der Urteilsfindung. Auch vor demSchwurgericht wurde die Anklage von der mit dem Fall von Anfang an vertrauten Staatsanwältin Kremer vertreten. Als erfahrene Juristin ließ sie sich durch die Verhandlungsführung des Gerichts nicht beirren.
Standhaft machte sie die tatsächlichen und nicht irgendwelche konstruierten Zeugenaussagen zur Grundlage ihres Plädoyers. Die sich abzeichnende kühle Entschlossenheit der Kammer zur Verhängung einer Maximalstrafe stand für die Staatsanwältin am Ende gar in aufwühlendem Kontrast zur menschlichen Tragik des verhandelten Falles. Den Tränen nah, plädierte sie wie schon im ersten Verfahren auf fahrlässige Tötung. Ein eher seltener Fall in der deutschen Strafjustiz: Einsicht und Milde der Anklage mussten sich einer geradezu absurden Härte des Gerichts beugen.«
Dieser Fall ist einer derjenigen, bei denen die Wahrheit zwar herauskommt, aber niemandem mehr nützt. Denn egal, was an jenem Abend unter dem Dach wirklich geschah: Die Beziehung zwischen Peters und Santini war längst tief zerrüttet. Der Schuss löste endgültig auf, was schon seit Jahren nicht mehr zusammengehörte. Es ist kein Wunder, dass dieser Fall immer einen bitteren Beigeschmack hat und hätte: Eine jedem einleuchtende Erklärung gibt es einfach nicht.
Schlachtung als Spiel
Und damit kommen wir endlich zum Fall Meiwes. Wie schon im vorigen Fall werden die Lebensgewohnheiten des Täters, hier Sadomasochismus (S/M) in einer extremen und schwer zu begreifenden Ausprägung, nicht beziehungsweise falsch verstanden. Obwohl S/M schon seit fast hundert Jahren literarisch und fachlich beschrieben ist, wird diese Spielart der Sexualität in kaum einem populärwissenschaftlichen Werk zur sexuellen Aufklärung erwähnt, geschweige denn bei Tötungsdelikten als ernsthafter Grund der Ereignisse erwogen.
Das Opfer des »Kannibalen von Rotenburg«, Bernd Brandes, war Kunde in sadomasochistischen Studios. Zu den Fantasien, die in S/M-Rollenspielen umgesetzt werden, gehören manchmal auch Schlachtungen und Hinrichtungen. Bei dieser seltenen Ausprägung des S/M ist es üblich, dass die Kunden schriftlich, auf jeden Fall aber mündlich vorab ihre Wünsche im Studio einreichen.
Zum vereinbarten Termin werden diese Anweisungen noch einmal ausführlich zwischen der ausführenden (»aktiven«, »dominanten«) Person und dem Empfänger (»passiv«, »Sub«) abgeklärt. Die besprochenen Drehbücher sind bei Schlachtungen meist hochpräzise. Das soll verhindern, dass der Kunde bei selbst geringen Abweichungen vom Skript »aus der Szene fällt« und somit seelisch und körperlich keine Erfüllung seiner Wünsche findet.
Dazu ein Beispiel aus einem von einem heterosexuellen Kunden verfassten Skript:
»Ich lege dir meine Daumen auf beide Halsschlagadern und drücke langsam zu. Du versuchst dich zu wehren, doch die Fesseln sitzen zu gut. Nach einigen Sekunden wirst du ohnmächtig. Schlaff hängt der schöne, halb nackte Frauenkörper vor mir am Flaschenzug. Es ist mir ein Hochgenuss, dir jetzt auch noch den Slip und BH auszuziehen.
Und schon jagt der Stromstoß durch deinen schönen Leib. Konvulsivisch zuckst du hoch, zitterst, tanzt wild auf dem Stuhl, wirfst ihn fast um, schlägst mit dem Kopf vor und zurück und reißt an den Fesseln. Diesmal halte ich den Strom fast fünfzehn Sekunden aufrecht. Endlich schaltet der Strom ab. Du
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