Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
von Zeitungen auch noch mit falschen Qualifikationen wie ›der Psychiater‹ geschmückt worden sind, kommen zu der Meinung: Dieser Mensch, der einen anderen Menschen getötet hat, um ihn aufzuessen und dadurch sein sexuelles Verlangen zu stillen, dieser Mensch ist seelisch und geistig so gesund, dass er schuldfähig ist, das Ungewöhnliche seines Tuns erkennt und – das ist entscheidend – auch danach handeln kann.
Gerade das aber ist zu bezweifeln. Liegt bei dem Verurteilten beispielsweise eine süchtig-perverse Entwicklung vor, sind Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Handelnden in aller Regel so beeinträchtigt, dass nicht mehr jene seelische Gesundheit angenommen werden kann, welche die sogenannten Gutachter attestiert haben.
Was aber spräche für das Vorliegen einer behandlungsbedürftigen süchtig-perversen Entwicklung? Nach meiner Auffassung liegt eine derartige Entwicklung vor, wenn bei einem Menschen ganz bestimmte psychische Mechanismen und Erlebensweisen so sehr im Vordergrund stehen, dass er ohne sie weder zu einer sexuellen Befriedigung gelangen noch sein Leben ohne innere Leere und Destruktion fristen kann.
Bei der Perversion sind alle Sinne und alle Sensationen der Kindheit wie in einem Fetisch zusammengeschoben. Bei der normalen Sexualität liegt dagegen eine Zerstreuung vor: Haut, Brust, Haare, Gesäß, Ausscheidungen, Stimme, Kleidungsstücke usw. werden mehr oder weniger milde fetischisiert, ohne zum Reiz schlechthin zu werden. Ohne eine gewisse Fetischisierung aber erlischt das Sexualbegehren der Normalen sehr schnell.
Mit dem Zwang zur Manifestation, Sexualisierung und Fetischisierung ist ein süchtiges Erleben verbunden. Wird dasperverse Tun unterbunden, kommt es zu Entzugserscheinungen wie beispielsweise psychosomatischen Beschwerden oder einer Depression. Nur wenn der Suchtcharakter des sexuellen Geschehens unübersehbar ist, sollte die Diagnose ›süchtig-perverse Entwicklung‹ gestellt werden. Klinisch ist also das Leitsymptom der Süchtigkeit entscheidend.
Wegen der enormen Lust, die der süchtig Perverse aus seinem Tun zieht, ist seine Motivation, behandelt zu werden, in der Regel schwach. Die Erfolgsaussichten einer Psychotherapie sind entsprechend begrenzt.«
Das heißt also, dass es in Fällen wie diesem an allen Fronten brennt: Es ist einerseits unmöglich zu entscheiden, ob der Täter zwanghaft handelt und also krank ist oder ob er rechtzeitig die Notbremse hätte ziehen können. Es könnte zudem sein, dass das Opfer in die kannibalistische Schlachtung eingewilligt hat, weil das betreffende S/M-Skript nun mal »Gnadenlosigkeit« vorsieht.
Eine vernünftige oder zumindest das Rechtsempfinden befriedigende Bewertung der Tat kann also nicht gefunden werden. Das zeigte sich vor Gericht daran, dass für Meiwes sowohl eine Tötung auf Verlangen, später ein Mord und zwischendurch eine psychische Ausnahmesituation zur Diskussion stand. Dass dabei etwas nicht stimmen kann, ist offenkundig: Nur eine der drei Möglichkeiten kann richtig sein.
Ich habe aus dem Fall Brandes/Meiwes gelernt, dass am Rand des Normalen Gegensätze so dicht beieinanderliegen, dass man sie nicht mehr voneinander trennen kann. Ein gerichtliches Urteil in diesem und vergleichbaren Fällen möchte ich nicht sprechen müssen – denn es hieße für mich unweigerlich: »Im Zweifel für den Angeklagten.« Und bei so vielen Zweifeln bliebe eigentlich nur ein Urteil: Freispruch.
Menschenfresser und Vampirverbrechen gibt es immer
Menschen essen andere Menschen viel häufiger, als es uns scheint. Dabei handelt es sich nicht um die »Menschenfresser«, die wir aus den Überlieferungen von Seefahrern – heute von Volkskundlern – kennen, sondern um handfestes Menschenessen in unserem Kulturkreis, nicht selten auch im deutschsprachigen Europa. Ich möchte Ihnen einige Fälle in chronologischer Abfolge schildern und damit verdeutlichen, dass weder die Tat von Meiwes noch die der australischen »Vampirverbrecherin« im folgenden Kapitel so weit jenseits der Vorstellungskraft liegen, wie man meinen könnte. Menschen wurden schon immer gegessen, wenngleich meist aus Hunger, und der Umgang mit Leichen und Leichenteilen ist gar nicht so selten, wie das kulturelle Tabu es glauben machen möchte.
Abb. 10: Der Umgang mit Leichen und Leichenteilen ist weniger ungewöhnlich, als das kulturelle Tabu es glauben macht. Hier zwei benachbarte Meldungen aus der
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-Zeitung vom Oktober 2006.
Die folgende Auswahl ist
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