Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
auch nicht im Umfeld von S/M und erst recht nicht im Einvernehmen statt.
Der Fall von Bernd Brandes, der seiner Tötung auch nach Meinung des Gerichts eindeutig zugestimmt hat, ist hingegen kriminalistisch und sozial einmalig und unlösbar. Dass die Schlachtung eines Menschen gesellschaftlich nicht vertretbar ist, versteht sich von selbst. Die juristisch im Januar 2004 auf sehr technische Weise und in einem Ausschlussverfahren vorgenommene Bewertung als Totschlag erzeugte in der Bevölkerung aber ebenfalls Ratlosigkeit.
Folgt man der Gedankenkette des Gerichts, dann wäre die Tat im Grunde ebenso gut als Mord oder Tötung auf Verlangen bewertbar gewesen. Professionelle Anbieter von »Schlachtungen« im S/M-Umfeld legten sich mir gegenüber aber darauf fest, dass es sich in ihrem Umfeld bei einer wirklich vollzogenen Schlachtung
grundsätzlich
um Mord handeln müsse, da der Wille des »Opfers« unmöglich zu erkennen sei. Grund dafür sei, dass »Schlachtungen« und »Hinrichtungen« als Ausnahme zu den sonstigen Gewohnheiten im S/M nicht nur eine völlige »Passivierung« des Opfers, sondern zudem eine durchgehend ernste und niemals erkennbar gebrochene Forderung nach Vollzug der Tötung als Spielregel erforderten.
Tötung als Missverständnis
Da S/M-Handlungen in der Szene entweder als Brücke zur ansonsten verschütteten Sexualität oder nach Simone de Beauvoir als »Heraustreten aus sich selbst, um sich dadurch selbst zu erkennen« gelten, bricht eine tatsächlich ausgeführte Schlachtung immer die Szeneregeln: Ein Toter kann weder über Sexualität verfügen noch aus sich heraustreten. Selbst Angehörige der Subkultur empfinden daher das Einverständnis des Opfers als in der täglichen Wirklichkeit ungültig. Da sprachlich und szenisch bei »Schlachtungen« Spiel von Ernst nicht zu trennen ist, steht eine reale Tötung also niemals zur Diskussion. Sie ist keine freundschaftliche Umsetzung des Wunsches des Opfers, sondern ein Irrtum.
Auch das Landgericht Kassel hat im ersten Verfahren solch ein Missverständnis angedeutet, als es befand, dass es sich um »eine Tat zweier psychisch Kranker handelte, die sich gefunden haben, obwohl sie eigentlich verschiedene Vorstellungen hatten«.
Dass dann im folgenden Verfahren im Jahr 2006 vom Landgericht Frankfurt/Main entschieden wurde, Meiwes habe einenMord begangen, zeigt, dass unsere Wahrnehmung an den äußersten gesellschaftlichen Rändern nicht mehr greift. Besonders schwierig ist das bei der Bewertung der Frage, ob Meiwes möglicherweise unter einem Zwang gestanden hat, der stärker war als er selbst.
Weil er so vernünftig redete und weil die Tat – wie schon mehrfach gesagt – jede Vorstellungskraft sprengt, entschied das Gericht, gestützt auf die Aussagen der befragten Fachleute, dass Meiwes sehr wohl die Wahl hatte, seine Tat nicht zu begehen.
Das ist ohne rechtskundliche Kenntnisse kaum zu verstehen, wenn man die vernichtende Bewertung liest, die der Göttinger Gutachter Georg Stolpmann im Jahr 2006 bei der Verhandlung gegen Meiwes zeichnete. Denn wie kann ein Mensch einen freien Willen haben, der – so heißt es in Stolpmanns Aussage – »schwer sexuell und seelisch abartig, kontaktgestört, uninteressiert am Leiden anderer, zu Auseinandersetzungen unfähig, persönlichkeitsgespalten und während der Tat auf dem Niveau eines Tieres« ist? Wenn sich schon ein normaler Mensch mörderisch darüber aufregen kann, dass andere auf der Autobahn schlecht fahren oder einen Elfer verschießen und dabei brüllen, gestikulieren und rot anlaufen – wie soll dann ein so schwer kranker Mann wie Armin Meiwes noch Kontrolle über sich gehabt haben?
Vielleicht liegt es wirklich daran, dass wir immer noch nicht genug über die seelische Befindlichkeit von Menschen am Rand des Randes wissen und daher nicht richtig entscheiden
können
. So erklärt sich wohl auch, warum das erste Urteil gegen Meiwes vom Bundesgerichtshof als »lückenhaft und widersprüchlich« aufgehoben und zur erneuten Verhandlung nach Frankfurt verwiesen wurde. Und es würde verständlich machen, warum auch der bekannteste Sexualforscher Deutschlands, Volkmar Sigusch, der Meinung ist, dass Armin Meiwes so krank war, dass er sich nicht selbst helfen konnte:»Armin Meiwes hat etwas getan, was alle Konventionen sprengt. Aber nicht in der Fantasie – hoffentlich hatten wir alle schon einmal ›jemanden zum Fressen gern‹ –, sondern als konkrete Handlung.
Doch die sogenannten Experten, die
Weitere Kostenlose Bücher