Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Zuschauer lachen im Gericht, und ich habe sogar schon gesehen, wie die sich im Publikum in die Hose gefasst und sich aufgegeilt haben.
Die Frauen kommen dort als heulendes Elend an und können kaum Name und Alter sagen. Einmal hat der Richter eine Frau gefragt, ob der Angeklagte zu ihr ›Schlampe‹ oder ›
Drecks-
schlampe‹ gesagt hat. Nach so einem Erlebnis will man sich als Klägerin doch umbringen. So ’ne Frau zeigt doch nie mehr einen an.
Stell dir vor, ich hätte es damals angezeigt, dann wäre ich vielleicht erst recht ein leidendes Opfer geworden.«
2. EINE LANGE SUCHE NACH DER WAHRHEIT
»Wahrlich, keiner ist weise,
der nicht das Dunkel kennt,
das unentrinnbar und leise
von allen ihn trennt.«
Hermann Hesse
Ein Stein ist ein Stein
»Ich wünschte«, schrieb mir eine befreundete Kriminalpolizistin, als ich dieses Kapitel zusammenstellte, »so viel Zeit bliebe uns auch, um derartige Untersuchungen anzustellen. Dem ist leider nicht so…« Ihr Seufzer bezog sich auf die folgende Zeitungsmitteilung, die sie beigefügt hatte:
Aus aller Welt
Mörder nach neunundzwanzig Jahren verurteilt
LONDON (dpa). Fast dreißig Jahre nach dem Mord an einer jungen Engländerin ist ihr Mann als Täter zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte sie 1976 mit einem Eispickel erschlagen. 1997 stießen Amateurtaucher in einem nordenglischen See auf ihre Leiche. Der Mann gestand die Tat und begründete sie damit, seine Frau sei ihm nicht treu gewesen.
Die Taucher stießen im Coniston-Water-See in Nordengland durch Zufall auf ihre Leiche. In Anlehnung an einen Kriminalroman bezeichneten Presse und Fernsehen den Fall als »The Lady in the Lake« – die Frau im See. Rechtsmediziner konnten feststellen, dass die Tote mit einem Eispickel erschlagen worden war. Nach erfolgreicher Identifizierung wurde ihrEhemann Gordon Park zwar festgenommen, doch die Beweise reichten nicht aus, um ihn vor Gericht zu stellen.
Die Polizei ermittelte trotzdem weiter. Schließlich konnte man Steine aus dem See bergen, die als Ballast für den Leichensack verwendet worden waren. Diese stimmten mit denen überein, die Gordon Park beim Bau seines Hauses verwendet hatte.
Außerdem sagten zwei Häftlinge, mit denen sich Park in der Untersuchungshaft unterhalten hatte, aus, er habe ihnen gegenüber den Mord zugegeben. Seine Frau habe den Tod verdient, weil sie fremdgegangen sei. Danach wurde der mittlerweile pensionierte Lehrer erneut festgenommen. Obwohl der Einundsechzigjährige die Tat weiter bestritt, hielten die Geschworenen seine Schuld aufgrund der gegen ihn sprechenden Indizien für erwiesen.
Da in angloamerikanischen Gerichten die Entscheidung über Schuld und Unschuld von einer Laienjury und nicht vomRichter getroffen wird (vgl. den Fall O. J. Simpson in meinem Buch
Mordmethoden
, S. 264–283), ist die Persönlichkeit des Angeklagten oft entscheidend. Denn der Charakter einer Person ist für Laien scheinbar einfacher zu verstehen als die objektiven Sachbeweise. Tatsächlich ist die Aussagekraft von Sachbeweisen aber oft größer als die einer beeinflussbaren Zeugenaussage. Da es nicht immer einfach ist, ohne Vorkenntnisse Fachdetails richtig einzuordnen, geben die meisten Geschworenen eher Aussagen über den Charakter des Angeklagten den Vorrang – auch wenn die nur auf Hörensagen beruhen.
Abb. 24: Luftbild des Sees Coniston Water, in dem die verschnürte Leiche von Carol Park nach neunundzwanzig Jahren gefunden wurde. (Foto: Jonathan Webb / Webbaviaton)
So kam es, dass in der englischen Presse der Widerspruch zwischen der angenehmen Persönlichkeit des Täters und seiner brutalen Tat recht schnell, wenn auch in kargen Worten, betont wurde. Die
Financial Times
berichtete dazu etwa:
»Geboren wurde Gordon Park in Barrow-in-Furness. Sein Vater war zunächst Gaszähler-Ableser und seine Mutter Busfahrerin; als Park seine spätere Frau Carol kennenlernte, hattendie Eltern mittlerweile einen gut laufenden Laden für Farben und Tapeten aufgebaut.
Abb. 25: Coniston Water liegt in einer ruhigen Gegend. Hier kennt man sich, und dunkle Geheimnisse bleiben unter einem Mantel des Schweigens verborgen – oder in einem See begraben. (Karte: L. Fuß / M. Benecke)
Gordon Park wurde Lehrer und war bis zu seiner Pensionierung in der Schule, in der er arbeitete, ein geschätzter Kollege. Die Polizei räumt ein, dass Park offenbar einen anständigen Charakter hat, ein ausgefülltes Leben führte und normalen Hobbys – Segeln, Klettern
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