Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
fertig. Wenn der nächste Brief kommt, werde ich das geschenkte Buch AUS haben, ich schreibe Ihnen dann davon…
Für heute 1000 Grüße Ihr hopeless case Jürgen
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14. Januar 1976
Schön, dass Sie Weihnachten so gut verbracht haben. Beklagen kann ich mich auch nicht. Meine Eltern waren da. Aber Gisela, worüber ich endlos traurig war, musste beide Tage arbeiten. Und Heiligabend ist ja Besuchsverbot. Froh – eigentlich muss ich es sein… Viermal Weihnachten hier – davon zweimal über die Feiertage in der Box (Keller).
Dieses Jahr nicht. Ich bin weniger, viel weniger labil, als früher. Aber das Recht auf Traurigkeit und Depressionen behalte ich mir vor. – Es war nicht gerade toll – es war wie immer. Tannenbaum, Fernsehen, keine Feier, kein Gottesdienst. Keiner (was sind das für herzlose Seelenkrüppel, die Sohn, Mann, Bruder hier vergessen!?) , am ersten Weihnachtstag, außer mir, hatte von meiner Abtlg. Besuch. Zum Kotzen! Einer ging über die Feiertage freiwillig in die Box . Er packte es nicht. Wir alle packten es kaum. Wir steckten voll von Tränen und Aggression bis zum Hals. Ich nicht ausgenommen.
Letztlich war ich auch verwirrt, weil ich von der Münsteraner Kommission nichts hörte. Ich schrieb einen Brandbrief.Nun endlich habe ich Nachricht. Die »Konferenz« wird Ende Jan./Anfang Feb. stattfinden. Das ist schon mal etwas. Dann ein paar Wochen warten auf die Entscheidung. Dann ein paar Wochen warten aufs Messer.
Davor Angst? Ja, sicher, aber es bringt mich nicht um. In diesem Punkt bin ich gut belastbar. Ich weiß ja, was mich erwartet, weil ich die Reaktionen meines Körpers genau kenne: Depressionen stärkster Art, aber wohl nur ein paar Tage (hoffe ich). Dann die sich »steigernde« sexuelle Ruhe bis fast zur Windstille. Fast , denn totale Windstille, das ist nicht. Ich sagte Ihnen ja…, dass ich meinen Körper u. seine Reaktionen sehr genau kenne. Sollte immer noch »zu viel« da sein, kann man »Androkur« dazu nehmen.
Wenn man immer noch »zu viel« feststellt oder glaubt, feststellen zu müssen, kann man immer noch was nehmen. Den Strick. Denn dann ist nichts mehr drin. Weder will noch kann man dann noch helfen. Gut…, dass Sie es akzeptieren, im Grunde. Es gibt eine Grenze seelischer Aufnahme- und Verarbeitungsfähigkeit. Sie ist erreicht.
Hoffentlich… schreibe ich nicht alles doppelt, aber das ist kaum möglich, der letzte Brief war vor Weihnachten, nicht? Gisela will mir, nun, da wir über zwei Jahre verheiratet sind, so nahe sein, wie es irgend geht. Gibt es einen (sie will ab April hier arbeiten, Klatsch stört sie nicht mehr, und man wird sehen, ob es »Ablehnungsgründe« gibt…) besseren Beweis unserer Liebe? Was unsere Ehe betrifft, denkt man hier nicht im Traum daran, uns echt zu helfen.
Ein Kinofilm wurde uns in der Kirche gezeigt: DIE BRÜCKE . Der Film war sehr gut. Kennen Sie ihn auch?
Wenn es irgend geht, wird Gisela (keiner bringt solche Ruhe in mich wie sie) mir vor, während oder vor – nach der Operation beistehen. Sie wäre der beste Beistand, und sie ist immerhin »beruflich geeignet«. Ob’s was wird?
1000 Grüße…, Ihr Papiertiger JÜRGEN.Am 28. April 1976 starb Bartsch unmittelbar nach der von ihm herbeigesehnten Kastration beim Herausschieben aus dem Operationssaal. Die beiden zur Narkose verwendeten Chemikalien waren vertauscht worden; einen Narkosearzt gab es bei dieser OP nicht. So kam es, dass das Betäubungsmittel stark überdosiert war. Der Arzt, der die Kastration, abgesehen von diesem Behandlungsfehler, offenbar erfolgreich durchgeführt hatte, wurde wegen fahrlässiger Tötung in zwei Fällen (sechs Tage zuvor war eine zweiunddreißigjährige Frau unter ähnlichen Umständen bei einer OP desselben sechzigjährigen Arztes gestorben) zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe (allerdings auf Bewährung) verurteilt.
Ein letzter Brief Bartschs darf hier nicht fehlen. Er hat ihn an die Wand seiner Gefängniszelle geschrieben, bevor er einen – allerdings nicht ernst zu nehmenden – Selbstmordversuch unternahm. Diesen Brief darf man absolut wörtlich nehmen, auch wenn einem das den Verstand rauben möchte. Wie schon gesagt: Paraphile Täter haben kein Mitgefühl. Sie schreiben die Wahrheit daher so herunter, wie sie ihnen in den Sinn kommt – egal, wie unangemessen und verletzend das ist. Doch wer kein Herz hat, kann sich auch nicht vorstellen, wie es sich anfühlt, wenn die Herzen anderer brechen.
»Und ich weiß genau,
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