Mordspuren - Neue spektakulaere Kriminalfaelle - erzaehlt vom bekanntesten Kriminalbiologen der Welt
Jahre ins Gefängnis geschickt werden. Findet man aber schon jetzt alle Leichen, so bleibt es bei der einmaligen Höchststrafe.
Zunächst eine kurze Übersicht über Garavitos Taten.
Abb. 37: Vor dem Gefängnis von Villavicencio in Kolumbien mit Dr. Rodriguez beim ersten Besuch bei Luis Alfredo Garavito Cubillos. Direkt hinter der Mauer saß der Serientäter mehrere Jahre in einem zur Einzelzelle umgebauten Lagerraum – ebenerdig, mit Gärtchen vor der Tür und Vorhängen vor dem Fenster, aber getrennt von allen anderen Gefangenen. (Foto: M. Benecke)
Ein Politiker in Verdacht
Am 22. April 1999 entdeckte ein umherstreifender, wohnungsloser Mann am Stadtrand der etwa vierhunderttausend Einwohner großen Stadt Villavicencio einen Mann, der einen sexuellen Übergriff auf einen Jungen beging. Die Tat geschah in einem Gestrüpp nahe einer asphaltierten Straße, ein denkbar ungünstiger Ort für ein solches Delikt, denn jeder zufällig Vorbeikommende hätte die Schreie gehört. Der Täter war offenbar sehr abgebrüht, sehr erfahren oder beides.
Der mutige Zeuge verscheuchte den Täter und meldete die Tat sofort der Polizei. Die nahm die Mitteilung zur Kenntnis und schickte den Mann wieder fort, ohne ihn nach seinem Namen gefragt zu haben. Der Zeuge, dessen Meldung eine der bittersten Serientaten der Neuzeit beendete, ist bis heute nicht wiederaufgetaucht.
Immerhin begann die Polizei sofort mit der Suche nach dem Verdächtigen. Da sie aber – wohl auch wegen ihres Desinteresses an einem im Vergleich zur alltäglichen Gewalt in Villavicencio wenig beeindruckenden Delikt – niemanden fand, schwärmten die örtlichen Taxifahrer zur Patrouille aus. Noch am selben Tag wurde auf diese Weise ein Mann aufgespürt, der auf die Personenbeschreibung passte, die der Zeuge gegeben hatte. Der aufgegriffene Mann hatte keine Papiere bei sich, gab aber aus dem Gedächtnis die Ausweisnummer und den Namen eines Lokalpolitikers einer anderen Stadt an. Da es damals in Kolumbien kein brauchbares Meldewesen gab, konnten die Angaben zunächst nicht überprüft werden.
Damit wäre die Sache schon beinahe erledigt und der Mann, der natürlich alles abstritt, wieder frei gewesen. Weil der angebliche Politiker aber auf die Frage, wohin er denn wolle, einen Ort angab, der um neunzig Grad versetzt zur Richtung lag, die er tatsächlich zu Fuß eingeschlagen hatte, wurden die Polizisten misstrauisch. War an der Anzeige des Obdachlosen womöglich doch etwas dran? Da man nichts Genaues wusste, wurdeder Fremde erst einmal ins Gefängnis gebracht. Dass damit ein Serienmörder aus dem Verkehr gezogen war, konnten die Polizisten nicht ahnen. Denn dass die mindestens zweihundert als verschwunden gemeldeten Kinder aus ganz Kolumbien Opfer eines einzigen Täters sein könnten, auf diese Idee war noch niemand gekommen. Eine Fahndung gab es daher nicht.
Die einzige Zeichnung, mit der nach dem Mörder von angeblich nur »einem« Kind gesucht wurde, war zwar schon 1996 veröffentlicht worden, passte aber auf viele Kolumbianer. Außerdem waren die Taten oft so weit voneinander entferntbegangen worden. Der Zusammenhang war aufgrund fehlender Spurenuntersuchungen (wegen Geldmangels wurden keine genetischen Fingerabdrücke erstellt, obwohl Spermien gefunden wurden) ohnehin nicht klar. Systeme wie das Serientäter-Erkennungsprogramm VICLAS fehlten, und in Villavicencio, wo der Krieg zwischen Paramilitärs und Guerilla besonders stark tobte, fielen Tote kaum mehr auf. Zudem war gerade die Tatserie von Pedro Alonso Lopez mit etwa siebzig Opfern bekannt geworden (»Anden-Monster« oder »Anden-Würger«). Obwohl er bevorzugt Mädchen umgebracht hatte, meinte ein von der Polizei befragter Psychiater, dass seine Vorlieben sich wohl geändert haben müssten. Da es in Kolumbien keine Möglichkeit zum Vergleich der damals bereits verfügbaren Serientäterstudien gab, konnten die Ermittler nicht erkennen, dass diese Aussage hoch unwahrscheinlich war.
Abb. 38: Typischer Tatort im Fall Garavito: nahe einer aus der Stadt führenden Straße, oft nur durch Sträucher sowie andere Pflanzen und den Verkehrslärm geschützt. Hier ein Tatort in Villavicencio direkt an einer Straße, die von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang (ab ungefähr achtzehn Uhr bis sechs Uhr morgens) in absoluter Finsternis liegt. Typisch auch der Bach, in dem Garavito sich nach vollbrachter Tat waschen konnte. (Foto: M. Benecke)
Wegen der Leichenfäulnis wurde zunächst auch nicht erkannt, dass die
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