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Mordsschnellweg: Kriminalstorys

Mordsschnellweg: Kriminalstorys

Titel: Mordsschnellweg: Kriminalstorys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo P. Ard , Reinhard Junge
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Vernehmungen und die sichtliche Verzweiflung, da Sie weder ein Motiv für die Tat finden noch eine Beziehung zwischen mir und dem Verstorbenen nachweisen konnten. Ihr einziges Indiz war das Messer in meiner Hand. Aus der Perücke und dem falschen Bart schlossen Sie auf eine lang vorbereitete Tat.
    Ich will Sie nicht langweilen, aber um den Hintergrund zu verstehen, muss ich Sie bitten, die nachfolgenden Zeilen genau zu lesen.
    Ich war viele Jahre lang Redakteur bei einer großen Tageszeitung mit vier Buchstaben. Sie wissen schon: Exklusiv ist nur das, was man selbst erfindet.
    Ich stolperte über die Wahrheit und wurde vor zwei Jahren entlassen. Während eines Stadtbummels in der Essener Innenstadt geriet ich an einem sonnigen Apriltag in eine Straßenumfrage, die ein WDR-Team durchführte. Es ging um das geplante Rauchverbot in Gaststätten. Vielleicht erinnern Sie sich: Die Wellen der Emotionen schlugen hoch, die Argumente gingen baden.
    Als Kettenraucher hatte ich zum Thema natürlich eine Meinung. Und war mir nicht zu schade, sie zu sagen. Die Leute haben hinterher geklatscht, natürlich nur die Raucher. Ein Mann zog mich zur Seite. »Das haben Sie wunderbar gemacht, so überzeugend und selbstsicher«, sagte der gut gelaunte Mittvierziger mit einer Kippe im Mund. »Darf ich Ihnen eine Stange Zigaretten Ihrer Wahl schenken, ich habe Beziehungen!«
    Auf seiner Visitenkarte stand: Friedel Damilow, Pressesprecher des Verbandes der deutschen Zigarettenindustrie.
    Eine Woche später rief er an. Ob ich umgehend in die Duisburger Innenstadt kommen könne, es sei ihm einen Hunderter wert.

    In der Nähe des Duisburger Bahnhofs gab es einen Menschenauflauf. Damilow stand etwas abseits und beäugte ein Fernsehteam von RTL, das Passanten interviewte. Es ging wieder um das Pro und Kontra zum Rauchverbot. Ich versprach, mein Bestes zu tun.
    Ich war der überzeugendste Redner im ausgestrahlten Beitrag, immerhin eine Minute lang. Ich war noch zweimal im Fernsehen, dreimal im Hörfunk und zweimal in der Zeitung. Insgesamt habe ich von Damilow eintausend Euro kassiert, schwarz natürlich.
    »Was halten Sie von Zement?«, fragte mich Damilow eines Tages. Ich musste gestehen, dass ich zu Zement keine Meinung hatte. Damilow überzeugte mich, dass eine positive Einstellung zu Zement erstens sinnvoll und zweitens auch lukrativ sei. Sein bester Freund war nämlich Pressesprecher der Zementindustrie.

    Ich las mich in die Materie ein und war am nächsten Tag ein brillanter Fürsprecher an einem Infotisch.
    Allmählich merkte ich, dass jede Meinung echtes Gold wert sein kann, wenn man sie nur am richtigen Ort mit den richtigen Argumenten gegenüber den richtigen Leuten vertritt.

    Damilow hatte viele Freunde.
    Der Vogelschutzbund rief an, der Verband der Schmierfett-Industrie und der Züchter des arabischen Pferdes e. V. Ich sprach über das Reinheitsgebot des Bieres und die jungfräuliche Empfängnis der Mutter Gottes, legte mich für einen fernsehfreien Mittwoch und eine Johannes-Rau-Gedenk-stätte ins Zeug und bestand öffentlich den Pepsi-Test. Danach wurde ich Profi, gründete eine Agentur und nannte mich Produktpromoter und Medienberater.

    Es war nicht immer einfach. Ich war gerade erfolgreich für die Arbeitgebervereinigung für eine Erhöhung des Rentenalters eingetreten, als mich die Gewerkschaft ver.di engagierte, um das Gegenteil zu fordern.
    Oft musste ich mir auch ein anderes Outfit zulegen. In diesem Job ist man alles: Schauspieler, Regisseur, Buchhalter, Rechercheur und Maskenbildner.
    Sie werden mich fragen, ob ich Gewissenskonflikte hatte oder habe. Absurder Gedanke. Warum sollte ich? Immerhin leben wir in einem Land, in dem Millionäre Wasser predigen und ihre Gelder in Steueroasen verstecken, der Werbeetat eines Brühwürfels so hoch ist wie die Hilfsleistungen fürs hungernde Afrika, wo man mit hundertachtzig Sachen nach Hause düst, um die erschütternde Fernsehsendung übers Ozonloch nicht zu verpassen.

    Dann kam die Landtagswahl. Ich ging in die Wahlkabine und wollte mein Kreuz machen. Aber wohin? Ich konnte mich nicht entscheiden, wem ich meine Stimme geben sollte. Ich hatte Kandidaten aller Parteien beschimpft, verfolgt und ihre Wahlreden auseinandergepflückt. Wenn mich nur eine einzige Partei bezahlt hätte, wäre die Sache vielleicht einfacher gewesen. Aber so?
    Der nächste Schicksalsschlag folgte auf dem Fuß. In einem Supermarkt brach mir vor einem Weinregal der Schweiß aus. Ich war für deutsche Weine

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