Mordsschnellweg: Kriminalstorys
her.
Ein grauer Schleier legte sich über Lewandowskis Augen. Auch seine Gegner hatten die ersten Aussetzer. Jutta Röttger bat um ein Glas Wasser. Sie habe einen trockenen Mund.
Lewandowski erinnerte sich. So war es auch bei seiner Schwägerin gewesen. Der sterbende Körper schrie nach Flüssigkeit. Er musste sich beeilen. Er wollte das Scheitern ihrer Intrige nicht verpassen. »Ich ziehe den Punkt Verschiedenes vor. Wir kommen zum Vorschlag für die Wahl des Vorsitzenden auf der kommenden Jahreshauptversammlung.«
Lewandowski hatte das Gefühl, als stehe er neben sich. Seine Worte klangen eigenartig hallend in seinen Ohren. Auch der Gegner war geschwächt. Niemand widersprach der willkürlichen Änderung der Tagesordnung.
Jutta Röttger meldete sich zu Wort und feuchtete mit Mineralwasser die Lippen an. »Zwanzig Jahre haben wir unter deiner autoritären Führung gelitten. Zwanzig Jahre hast du uns diktiert, was wir tun und lassen müssen. Die Zeit ist reif …«
Die letzten Worte fielen ihr schwer. Offenbar hatte sie einen längeren Vortrag vorbereitet, doch ihre Kräfte reichten nicht aus.
Nun ist es also heraus, dachte Lewandowski. Er sah, wie Erwin Farle mit der Müdigkeit kämpfte. Das rechte Augenlid zuckte. Wie bei Lewandowskis Schwägerin.
»Ich klebe nicht an meinem Posten«, sagte Lewandowski. »Ich bitte um die Nennung von Kandidaten!«
»Es gibt jemanden«, meldete sich Lutz Krämer und klopfte ans Glas, um die dahinschwindende Aufmerksamkeit der anderen zu erlangen, »der sich um unseren Schreberverein verdient gemacht hat. Jemand, dessen Engagement zum Wachsen und Gedeihen des Vereinslebens beigetragen hat. Dem alle zu Dank verpflichtet sind.«
»Darf ich erfahren, wie dieser Kandidat heißt?«
Die drei lachten ihm ins Gesicht.
Er lachte zurück.
Wer zuletzt lacht, lacht am besten.
»Horst Lewandowski!«, sagten sie im Chor.
Jutta Röttger stand wankend auf und kramte aus ihrer Handtasche einen Brief hervor. »Vom Bundespräsidialamt«, erklärte sie. »Sie haben unseren Vorschlag angenommen. Du kriegst demnächst das Bundesverdienstkreuz.«
Ich bin schon tot, dachte Lewandowski. Der Teufel quält mich.
»Du hast es dir wirklich verdient«, meinte Lutz Krämer. »Warst immer für den Verein da. Hast deine Freizeit geopfert. Hast …« Er hörte einfach auf zu sprechen und schloss die Augen.
Horst Lewandowski sprang auf. »Das ist doch nicht wahr?! Ich dachte, ihr wollt putschen!«
»Quatsch«, sagte die Röttger leise.
»Wegen der WELAG-Aktien!«
Sie lachte müde. »Ach, hat Schorsch auch dich damit in den April geschickt?«
Lewandowski starrte auf den Kalender. Es war der 1. April. Ihm wurde schwarz vor Augen. Er musste sich setzen. Er wollte schlafen, tief und fest schlafen.
Er zwang sich, die Augen wieder zu öffnen.
Lutz Krämer saß noch immer auf seinem Stuhl, kerzengerade. Aber er atmete nicht mehr. Erwin hing mit seinem Oberkörper auf der Tischplatte, seine verkrampfte Hand umfasste das Glas. Jutta Röttger lag neben dem Tisch, die Beine angezogen, die Hände wie ein Kissen unter dem Kopf gebettet.
Lewandowski schloss wieder die Augen. Schmerz und Trauer zerrissen ihm fast das Herz.
Es klopfte an der Tür. So laut und penetrant, dass Lewandowski unter Aufbietung all seiner Kräfte aufstand und zur Tür wankte.
Verschwommen erkannte Lewandowski das Gesicht von Doktor Beck. »Gott sei Dank. Ich hab halb Dortmund nach Ihnen abgesucht. Die Praktikantin, diese dumme Pute. Sie hat den Befund verwechselt. Der Freund von Friseur Schönbaum, der heißt Lewankowski. Mensch, bin ich froh. Ich hatte schon befürchtet, Sie tun sich was an!«
Die letzten Worte hörte Lewandowski nicht mehr.
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