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Mordsschnellweg: Kriminalstorys

Mordsschnellweg: Kriminalstorys

Titel: Mordsschnellweg: Kriminalstorys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo P. Ard , Reinhard Junge
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ist denn mit Ihrem Kaktus?«
    Der Kaktus lag neben dem Topf. Seine verkümmerten Wurzeln ragten wie ein Mahnmal gen Himmel. Die Erde im Topf war knochentrocken.
    »Mir gehört der nicht. Den hat der alte Friedrichs hiergelassen, als er pensioniert wurde.«
    Die Augen von Frau Berger füllten sich mit Wasser. Sie seufzte. »Schade!« Mit spitzen Fingern nahm sie den Kaktus und beerdigte ihn in ihrem Papierkorb.

Reinhard Junge: Planstelle frei

     
    1

    »Schon gehört?«, fragte Nehl, als er das kleine Lehrerzimmer des Hattinger Schulenburg-Gymnasiums betrat. »Sommer ist tot!«
    Studiendirektor Brücken, ein Lehrerleben lang Mitglied im konservativen Philologenverband, fiel fast die Kaffeetasse aus der Hand.
    »Die Ministerin?«, fragte er hoffnungsfroh. Dreißig Jahre lang hatte er im Deutschunterricht der Oberstufe versucht, mit echten Klassikern wie Lessings Nathan und Goethes Faust humanistische Grundwerte zu vermitteln. Aber dann kam das Zentralabitur und Sommers Kofferträger zwangen ihn, im Unterricht nur noch perverses Zeug zu behandeln: feministische Verfälschungen des Trojanischen Krieges, die Leiden schwuler Internatszöglinge im österreichischen Kaiserreich, die Bettgeschichten alternder KZ-Aufseherinnen. Seitdem zählte Brücken die Sommer zum Heer seiner Lieblingsfeinde und hätte sie am liebsten auf dem Schulhof als Hexe verbrannt.

    »Babsi?« Nehl schüttelte den Kopf: »Nein, die doch nicht. Egon Sommer. Unser Kollege.«
    Seine Stimme klang mit einem Mal brüchig, als wäre ihm erst jetzt aufgefallen, dass im ehemaligen Raucherzimmer ein Platz frei geworden war.
    »Nicht zu fassen«, seufzte Fritz Brücken und tupfte sich die Kaffeespritzer von der Krawatte. Für eine gute Nachricht hätte er den Schlips geopfert, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber jetzt war das Seidentuch hin und die Ministerin noch immer im Amt.

    »Mensch – der war doch erst achtunddreißig!«, fuhr er plötzlich auf. »Was hatte er denn?«
    »Keine Ahnung. Ich hab’s unten gehört, aber keiner weiß Genaueres. Der Chef …«
    Der Dreiklang des Schulgongs dröhnte los und dann verkündete der heisere Lautspre cher über der Tür, was der Chef des Schulenburg-Gymnasiums entschieden hatte: »Aus außerordentlichem Anlass bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen in das große Lehrerzimmer. Der restliche Unterricht fällt heute aus …«

    Als der Jubel der in Richtung Altstadt abziehenden Schülermassen verhallt war, probte das Kollegium für die Trauerfeier. Selten hatte sich der Raum so schnell gefüllt wie an diesem Montagmorgen – und so lautlos noch nie. Schweigend strebten die Ankommenden einem der acht rechteckigen Tische zu; selbst Stammplatzinhaber rutschten für die Gäste aus dem Exotenzimmer ohne Protest zur Seite.
    Auch Brücken, Philosoph aus Berufung und Elefant von Gestalt, entfaltete den mitgebrachten Klappstuhl ohne das übliche Theater, ehe er seine zweieinhalb Zentner ächzend einen halben Meter tiefer sinken ließ. Die Fensterfront im Rücken, blickte er vom Philologentisch aus zwischen den drei Schrankwänden umher, die den Horizont des Lehreralltags begrenzten.
    Alle waren da. Die Damen mit den Faltenröcken hatten auf ihrem Tisch bereits eine Totenkerze angezündet. Die Gewerk schaftsfraktion zählte die sinnlosen Sonderaufträge, mit denen die Bezirksregierung die Lehrerschaft in Richtung Herzinfarkt trieb, während die Philologen über den Sinkflug ihrer Opel-Aktien trauerten. Die Mathematiker dachten an die lasche Versetzungsordnung und die Sportler an die Millionen, die sie als Fußballprofis verdient hätten. Besonders betroffen wirkte der erlesene Kreis der Boutiquentanten, denen der frisch verordnete Ganztagsunterricht die Zeit für so manche schöne Shoppingtour raubte. Kurz gesagt: Keiner hatte Mühe, die angemessene Folie über Stirn und Augen zu ziehen.
    Oberstudiendirektor Uhlmann, der Chef des Hauses, hatte seine schwarze Krawatte aus der Schreibtischschublade hervorgekramt und sie wie ein Schiffstau um den Hals gewunden; dazu trug er sein Standardgesicht, mit dem er morgens die Kinder erschreckte. Ächzend fläzte er seine Hammerwerferfigur über das Rednerpult, ließ den Stellvertreter leise zischeln und holte Luft.

    »Meine Damen und Herren – ein trauriger Anlass ist es, der uns hier zusammenführt. Wie wir soeben erfahren haben, ist unser Kollege Egon Sommer verschieden. Wir müssen nun, um den Ruf der Schule zu wahren, dafür sorgen, dass kein Unterricht …«
    Die grauhaarige

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