Mordsschnellweg: Kriminalstorys
Kissingen. Als sie wieder aufsah, war der Polizist noch immer da.
»Ich stehe noch völlig unter dem Eindruck dieser schrecklichen Nachricht«, sagte sie endlich mit deutlichem Zittern in der Kehle. »Solch ein Vorfall ist geeignet, unsere jahrelangen pädagogischen Bemühungen im Ansehen der Öffentlichkeit …«
Steigerwald hob seufzend den Pfeifenstiel: »Ich muss Sie bitten, auf meine Frage einzugehen, Frau Brockhaus. Wer könnte Herrn Sommer so gehasst haben, dass …«
»Aber an unserer Schule doch nicht!«, empörte sich die Pädagogin.
»Der Gegenbeweis liegt unten im Keller!«, sagte der Hauptkommissar scharf. »Und Sie wollen uns doch sicher helfen, seinen Mörder zu finden.«
Sie nickte – aber antwortete nicht.
»Welche Meinung haben Sie denn persönlich von Ihrem Kollegen Sommer?«, schlug Steigerwald den weitesten aller Umwege ein.
Die Frau wich seinem Blick aus und seufzte. Sie gab seit fünfunddreißig Jahren Latein und Katholische Religion. Weisheiten wie das berühmte De mortuis … und die Kunst des Verzeihens gehörten inzwischen zu ihrem genetischen Code.
»Er war ein anerkannter und geachteter …«
Steigerwald atmete tief durch und warf einen genervten Blick auf Feldhoff, der das Duell seines Chefs mit der Seelenhirtin interessiert verfolgte.
»So kommen wir nicht weiter, gnädige Frau. Ich versichere Ihnen, dass ich Ihre Erschütterung verstehe und außerordentlichen Respekt gegenüber Ihren moralischen Bedenken empfinde. Aber ich bin nicht im Staatsdienst, um über die Regeln der Pietät zu philosophieren. Ich jage Mörder.«
Die Frau schaute konsterniert aus dem Fenster. Das Böse in dieser Welt lag eigentlich tief unter ihr – in den Wohn gebieten der einfachen Leute am Rande der Altstadt, aber doch nicht hier oben auf dem Berg, wo so viele Ärzte und Rechtsanwälte …
»Bitte, Frau Brockhaus!«, mahnte Steigerwald sanft.
Ihre Kostümjacke hob und senkte sich wie ein Blasebalg – sie rang mit ihrem Gewissen, als stünde ihr der Weg ins Fegefeuer bevor.
»Was mich aber an ihm gestört hat«, bekannte sie schließlich, »nun, Kollege Sommer war mir, wenn ich es recht bedenke, etwas zu geschäftstüchtig, zu sehr auf das Geld aus und auf den äußeren Schein bedacht.«
»Können Sie das erläutern?«, fragte Steigerwald und hoffte, dass die Dame endlich über ihren Schatten sprang.
»Er hat wohl einen recht flotten Handel betrieben. Seine Frau arbeitet bei einem Unternehmen für Sportartikel, und wenn sie einen günstigen Posten Pullover … Ich war immer der Meinung, dass die Schule für solche Geschäfte nicht der richtige Ort ist. «
»Und sonst?«
Sie zerrte am Kragen ihrer Kostümjacke, als ob sie ihn abreißen wollte. »Nun, mir ist zu Ohren gekommen … Er hatte einmal, das muss ein gutes Jahr her sein, einen heftigen Streit mit der Kollegin Patzke …«
Der Dämme brachen. Fünf Minuten lang redete sie wie ein Wasserfall. Als sie den Raum verließ, taten Feldhoff die Finger weh.
»Wenn Sie mich fragen«, begann der lange Hauptmeister, aber sein Chef dachte gar nicht daran.
»Kaffee!«, schnauzte er und deutete auf die Maschine, die auf einem Gestell in der Ecke stand.
Feldhoff nahm die Kanne auf und schaute sich suchend um. Ein Wasserhahn war nirgends zu entdecken.
Steigerwald griff zum Telefon, studierte die aufgeklebte Liste mit den Nummern der Hausanschlüsse und wählte das Sekretariat an: »Wo gibt’s hier oben Wasser?«
Sekunden später flog der Hörer wieder auf den Apparat: »Typisch Gymnasium. Nach außen vornehm bis zum K otzen, aber das Kaffeewasser musst du dir auf dem Scheißhaus holen.«
4
»Hören Sie, das sind doch alles Gerüchte. Verleumdungen. Ich möchte mich entschieden dagegen …«
Steigerwald schnitt dem Mann mit den Geheimratsecken das Wort ab: »Herr Holtmann, wir können das in einer halben Stunde überprüfen: Die Platten vor Ihrem Hauseingang und in der Garagenzufahrt sind exakt die gleichen wie die hier auf dem Schulhof. Wie sind sie dahin gekommen? Mit der Krötenwanderung im Frühjahr? Über sieben Berge bis nach Hasslinghausen?«
Der Oberstudienrat kratzte sich das glatt rasierte Kinn. Hinter der hohen Stirn suchte ein lebender Computer nach einer passenden Antwort.
»Nun ja«, wechselte er schließlich die Taktik. »Da sind ein paar Pflasterplatten übrig geblieben. Sie lagen tagelang herum, ohne dass sich jemand um sie gekümmert hat. Als die Schüler in den Pausen anfingen, sie zu zerschlagen, habe
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