Mordsschnellweg: Kriminalstorys
Gefahr, dass jemand etwas merkte, war gering: Der Nikot induft in den Tapeten und Sesseln schien die Halbwert szeit von Plutonium zu besitzen.
»Ich möchte Sie bitten«, fuhr der Oberstudiendirektor fort, »die tragische Angelegenheit so diskret und behutsam wie nur möglich anzufassen. Wir halten zwar bei den bildungsbewussten Eltern dieser Stadt jeden Vergleich mit dem Unterschicht-Gymnasium im Schulzentrum aus, aber jetzt kommen die geburtenschwachen Jahrgänge auf uns zu. Und wenn unsere Anstalt plötzlich als Mordstätte …«
Steigerwald stoppte die Rede, mit der Uhlmann dem Kollegium sonst die unbezahlten Vertretungsstunden begründete: »Thema Sommer! Können Sie ihn in drei Sätzen charakterisieren?«
Der Hammerwerfer schluckte. »Ja. In drei Worten sogar: Innovativ, einsatzfreudig, belastbar.«
»Ehrgeizig?«
»Auch. Er hat in den letzten Jahren immer wieder Sonderaufgaben übernommen. Schulbuchbestellungen, Raumverteilung, Stundenpläne – er hat für alles Computerprogramme entwickelt, mit denen wir optimal arbeiten können. Wenn unsere Schule heute in der Öffentlichkeit unserer Stadt so gut dasteht, dann ist es nicht zuletzt …«
»Wer waren seine Mitbewerber für die letzte Beförderungsstelle?«
Uhlmann plusterte seine Backen auf: »Es wäre das erste Mal, dass in der Schule jemand deswegen umgebracht wird.«
»Manche bringen für fünf Euro ihre Großmutter um.«
»Ja. Aber Studienräte nicht. Hundert oder hundertfünfzig Euro Gehaltserhöhung können sie verschmerzen. Größer ist der Unterschied zwischen A 13 und A 14 netto doch sowieso nicht …«
»Namen!«
»Meine Sekretärin sucht Ihnen die Akte heraus.«
»Gut. – Wie lange waren Sie denn am Samstag auf dem Schulfest?«
Der Chef dachte kurz nach: »Bis halb acht. Danach musste ich nach Bochum. Wir hatten Sommerball.«
»Wer ist …?«
»Der Radsportverein Sturmvogel Langendreer. Ich bin Vorsitzender.«
Steigerwald hob die Brauen und musterte den Mann. Moderne Rennräder waren, soweit er wusste, sensible Hightechgeräte, deren Rahmen nicht mehr aus Stahl, sondern aus Karbon gefertigt wurden. Kaum vorstellbar, dass sie unter solch einem Haufen Fleisch noch fahrtüchtig waren.
»Und wie lange?«
»Sieben Jahre …«
Der Polizist schüttelte den Kopf: »Wie lange Sie auf Ihrem Sommerball waren!«
Der Koloss grinste: »Keine Ahnung. Bis zwei, halb drei vielleicht. Wenn Sie’s genau wis sen wollen, müssen Sie m eine Frau fragen – oder den Taxifahrer. So ganz nüchtern war ich nämlich nicht mehr …«
Die Tür öffnete sich und eine Kollegin von den Kriminal technikern kam herein. Abwartend blieb sie stehen, aber Steigerwald winkte sie heran. Die Hände auf Tischkante und Stuhllehne gestützt, flüsterte sie dem Hauptkommissar etwas ins Ohr. Die Ohren des Radlers blähten sich zu metergroßen Parabolantennen auf.
»Herr Uhlmann«, wandte sich der Polizist an den Koloss. »Hat Herr Sommer außer im Lehrerzimmer noch andere Fächer oder Schränke, in denen …«
»Klar«, nickte der Pädagoge. »Im Flur vor dem Büro. Zwei Leute teilen sich einen Schrank für Mäntel, Schirme …«
»Und die Schlüssel?«
»Beim Hausmeister.«
Die Kollegin entschwebte und Steigerwalds Augen visierten wieder den Leiter der Anstalt an. Der Mann sah demonstrativ auf seine Armbanduhr und schniefte. Er hatte ein dringendes Ferngespräch mit dem Organisationschef der Hessen-Rundfahrt zu führen und so etwas erledigte er am liebsten über das Diensttelefon, bevor er seinen Sohn zum Nachmittagstraining über die Bergstrecke nach Sprockhövel und Langenberg hetzte.
»Danke«, nickte Steigerwald. »Sie können gehen. Schicken Sie mir die Vorsitzende des Lehrerrats.«
3
»Erschütternd«, bekannte Studiendirektorin Brockhaus und ließ ihre grauen Dauerwellen andächtig zittern. »Am letzten Samstag hat der Kollege Sommer uns mit seinem Literaturkurs noch diese schöne Inszenierung des Romulus geschenkt und jetzt liegt er …«
»Mitten zwischen den ausgestopften Hühnern und der Maske des Ämilian«, präzisierte der Polizist.
Die Pädagogin stutzte: »Sie kennen Dürrenmatt?«
Der Kommissar schenkte sich die Antwort. »Haben Sie eine Ahnung, wer ein Motiv …«
Entsetzt über die Unterstellung, sie könnte einen Mörder kennen, schloss Brockhaus die Augen. Sie stand kurz vor der Pensionierung und träumte ein, zwei glückliche Sekunden lang von der idyllischen Zukunft in ›ihrem‹ Damenstift bei Bad
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