Mordsschock (German Edition)
mal zusammenwohnten, würde sich das von selbst regeln. Man musste die Pferde ja nicht um jeden Preis vorher scheu machen!
Ilse Walter, die verschüchterte entlassene Verwaltungsangestellte, hatte ich mittlerweile komplett vergessen. Kurz vor Feierabend am nächsten Tag kam sie in den Verlag, um mich zu sprechen.
„Draußen ist so’n merkwürdiger Vogel, der zu dir will“, meldete Jelzick.
Ilse Walter sah ganz anders aus als ihre forsche Schwester Ella, wahrscheinlich hatte sie weniger Muttermilch abbekommen. Klein, zart und unscheinbar, stützte sie sich unsicher im Türrahmen ab. Ihre straßenköterfarbenen Haare hingen als langweiliger Pagenkopf bis auf die Schultern, die spitze Nase in dem ungeschminkten Gesicht gab ihr das Aussehen eines verhuschten Vogels. Wie ein gerupfter Spatz lehnte sie an der Wand. Sie war in einen viel zu weiten grauen Trenchcoat gehüllt, der jede weibliche Form verdeckte.
Ilse Walter war das perfekte Opfer. Wenn irgendwo jemand den Kopf hinhalten musste, waren es die Ilse Walters dieser Welt. Nervös drehte sie ihre unmoderne Handtasche zwischen den Fingern, stellte sich vor und räusperte sich. „Ich habe es mir überlegt.“
„Wie bitte?“
„Mein Therapeut meint, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist.“
„Wofür?“, rätselte ich. Gleichzeitig beschlich mich eine unangenehme Vorahnung.
Ilse Walter sog rasselnd Luft ein und blähte ihre Lungenflügel auf. Bestimmt eine Atemübung ihres Therapeuten. „Ich rede! Sie können mich namentlich in Ihrem Artikel über die Grundstücksvergabe zitieren. Und ich weiß mehr ...“ Kribbelig trat sie von einem Bein auf das andere und öffnete den Verschluss ihrer Handtasche. Im nächsten Moment ließ sie ihn wieder zuschnappen. Auf und zu. Auf und zu.
Am liebsten hätte ich Ilse Walters Handtasche in den nächsten Müllschlucker befördert. Mir brannte der Boden unter den Füßen. Unruhig kundschaftete ich aus, ob meine Kollegen etwas gehört hatten. Zu meiner Erleichterung war niemand in der Nähe. „Wissen Sie was? Ich bin gleich fertig. Wir gehen essen, und Sie berichten mir alles!“, schlug ich eilig vor, um Ilse Walter vor neugierigen Ohren in Sicherheit zu bringen.
Weg mit der Frau! Ihr Gequatsche war eine Bedrohung für meine Zukunft. Therapeuten und Kuren in Griechenland sollten gesetzlich verboten werden!
Im Restaurant tat ich so, als ob ich ihre Statements notieren würde. Wir saßen ausgerechnet im Hellas , einem Griechen, der direkt an der Hauptstraße stadtauswärts lag. Die dünnen Fensterscheiben klirrten, wenn ein Lkw vorbeidonnerte. Gegenüber kreischte ein Presslufthammer. Ich bildete mir ein, unser Tisch würde beben. Die Mischung aus abgestandenem Rauch und Knoblauch verursachte mir Übelkeit.
Im Hintergrund wippte der dickbäuchige Wirt in Pantoffeln vor seinem blau gestrichenen Tresen, den er wegen der mediterranen Atmosphäre mit einem staubigen Fischernetz bespannt hatte, zu einer säuselnden Sirtaki-Musik. Misstrauisch stocherte ich im Krautsalat herum, der in einer milchigen Flüssigkeit schwamm. Die Fäden flutschten durch die Zinken meiner Gabel auf die fleckige Tischdecke.
Ilse Walter spießte eine gebratene Sardine auf und raunte geheimnisvoll: „Da ist etwas, was Sie nicht wissen.“
Ich zerkrümelte pappiges Fladenbrot und blätterte wild in meinem Stenoblock, als würde ich darin die Erlösung finden.
„Ich denke an einen Zusammenhang zwischen der Grundstücksaffäre und dem Mord an Herrn Prange. Leider habe ich keine Beweise, nur die Vermutung. Aber seitdem ich wieder zurück von meiner Kur bin, ist mir diese Schneiderin, die als Mörderin verdächtigt wird, nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Meine Schwester hat mir erzählt, was in den Zeitungen stand. Sie litt unter Herrn Prange. Genau wie ich! Dieser Mann hat es geschafft, uns beide sogar nach seinem Tod zu tyrannisieren.“ Ilse Walter straffte die Schultern und stieß pfeifend Atem durch ihren gespitzten Mund aus. „Die arme Frau trifft es schlimmer als mich. Aber auch ich vergesse nie seine Dreistigkeit, mit der er leugnete, mir den Auftrag gegeben zu haben, die Grundstücksabsagen vorzeitig rauszuschicken. So was geht einem im Kopf herum.“ Sie zog eine Leidensmiene und seufzte.
Jeden Moment konnte sie wieder mit ihren lautstarken Atemübungen loslegen, also lenkte ich schnell ein. „Und welchen Zusammenhang erkennen Sie zwischen der Grundstücksvergabe und Pranges Tod?“
„Es begann mit meinem Besuch bei der
Weitere Kostenlose Bücher