Mordsschock (German Edition)
aufmerksam werden. Ich rannte zum Wagen.
Erst als ich das Gaspedal bediente, bemerkte ich das Riesenloch unter der rechten Sohle meines Stiefels. Meine Füße brannten, meine Hände waren wund und aufgerissen.
Ängstlich lugte ich in den Rückspiegel, ob mir jemand folgte. Ich bemerkte niemanden. Auf den Straßen herrschte kaum Verkehr, obwohl es vor 22 Uhr war. In der Kleinstadt wurden die Bürgersteige früher hochgeklappt. Nach meinem Zeitgefühl hätte es später sein müssen. Viel hatte sich ereignet, seitdem ich losgefahren war.
Ich parkte den Wagen und flitzte, so schnell mich meine ausgepumpten Beine trugen, zum Hauseingang meiner Wohnung. Wäre ich nicht so fertig gewesen, hätte ich über die schwarzen Schleifspuren, die meine Schritte im Treppenhaus hinterließen, gegrinst. Vermutlich glich ich einem zerlumpten Schornsteinfeger.
Ich schloss die Tür auf, pfefferte die Stiefel in die Ecke und steuerte die Toilette an, weil meine Blase dringend nach Erleichterung verlangte. Aufatmend klappte ich anschließend den Klodeckel runter, als meine Beine mir endgültig den Dienst versagten. Ich sank auf die Fliesen. Vor mir breitete sich eine angenehme schwarze Leere aus.
Kapitel 27
Die Schritte kommen näher. Fest und kraftvoll rollen sich die Füße auf dem Teppich ab. Der Boden dröhnt. Oder ist das mein Herz, das so laut klopft?
Er ist da! Nur die Tür trennt uns. Einen Moment lang ist es still. Warum zögert er so lange? Scharrende Geräusche. Langsam senkt sich die Klinke der Badezimmertür nach unten.
Ich kauere mich neben dem Toilettenbecken zusammen, verstecke meinen Kopf zwischen den angewinkelten Beinen. Ich bin ganz klein. Vielleicht übersieht er mich.
Die Tür öffnet sich. Sein Rasierwasser schwebt herein. Ich rieche ihn.
Ich schaue nicht auf. Ich weiß, dass er vor mir steht und mich betrachtet.
„Nina, was ist los?“ Seine Stimme zittert. Ach, wie verlogen! Seine Hand streicht über meinen Kopf. Sanft.
Ich ertrage das nicht. „Fass mich nicht an!“, schreie ich und rappele mich hoch.
Ken lehnt im Türrahmen. Er verzieht seine blauen Augen zu schmalen Schlitzen und beißt sich auf die Lippen. Als könne er nicht glauben, was er sieht. „Wie um Himmels willen schaust du aus? Wo warst du?“
Ich plumpse auf den Klodeckel, weil meine Beine mich nicht länger tragen. Dort steht der Mann, dem ich vertrauen wollte. Er sieht gut aus. Das schwarze Polo-Shirt und die dunkelblaue Jeans strecken seine gedrungene Gestalt optisch. Die muskulösen braungebrannten Arme verschränkt er hinter dem Rücken. Die Verwirrung steht ihm. Das frische Gesicht mit den kleinen Lachfältchen trägt wieder den lausbubenhaften Touch und lässt ihn jünger erscheinen. Warum wirkt er so entspannt? Wenn er nach seinen Sitzungen abends bei mir vorbeikommt, wälzt er innerlich irgendwelche Probleme, und es dauert exakt eine halbe Stunde, bis er sie abgeschüttelt hat. Komisch, dass er Freizeitkleidung anhat. Sonst geht er in Stoffhose und Sakko hin.
„Wieso bist du da? Hast du keine Sitzung? Heute ist doch der Dreizehnte?“ Ich bin überrascht, dass meine Worte so normal klingen.
„Heute ist der Zwölfte! Unsere fraktionsinterne Besprechung ist morgen. Ich war im Clubhaus. Der Kassenwart hat ein Jammerlied gesungen, und der Trainer gewütet, dass er unter diesen Umständen keine starke Mannschaft für die nächste Saison auf die Beine stellen könnte.“ Ken grinst. Wenn es um Fußball geht, vergisst er alles andere.
Ich habe mich im Datum geirrt. „Aber Ehrhardt und die anderen waren doch da?“
„Wie bitte?“ Ken löst sich aus dem Türrahmen. „Warum bist du so verdreckt? Und riechen tust du wie eine komplette Müllhalde.“ Demonstrativ hält er sich die Nase zu.
„Hast du Prange umgebracht?“ Diese Frage platzt wie ein Furz aus mir heraus. Heimlich befühle ich das Messer in meiner Rocktasche. Es gibt mir Sicherheit.
Erschrocken starrt Ken mich an. „Nein, wie kommst du darauf?“ Banale Reaktion. Ich glaube ihm nicht. Warum verkriecht er sich hinter dieser harmlos-besorgten Fassade? Ich verspüre den wahnsinnigen Wunsch, sie einzuschlagen, bis sie zusammenkracht. Einfach draufhauen! Ein Rest Vernunft, der irgendwo in den Tiefen meines Gehirnes verborgen ruht, funkt mir, dass ich damit mein ganzes Leben zertrümmern würde.
Hysterie droht, in mir die Oberhand zu gewinnen. „Sag mir die Wahrheit! Hast du ihn umgebracht?“, kreische ich. „Die Schneiderin hat einen Mann mit bräunlichem
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