Mordsschock (German Edition)

angelt sich ihre Jacke vom Garderobenhaken und verlässt Türen knallend das Haus.
    Ken ist sprachlos. Verdutzt blickt er zum Ausgang.
    Ich räuspere mich vernehmlich.
    Er gewinnt seine Fassung zurück. „Als wenn ich nicht genug mit der Polizei zu tun hätte! Ständig wollen sie hören, wie ich Ehrhardts Persönlichkeit einschätze und welche Beziehungen wir zueinander hatten. Welche Verbindungen es zwischen Prange und Ehrhardt gab und und ... Mensch, es ist schwierig genug, dabei konzentriert zu bleiben und nichts Falsches zu sagen! Wenn irgendwas durchsickert, ist es aus mit dem Fraktionsvorsitz und der Bürgermeisterkandidatur. Ich will keine jugendliche Drogendealerin unter meinem Dach beherbergen! Was ist, wenn die Polizei auf sie aufmerksam wird? Das wäre das gefundene Fressen für meine Feinde!“
    Ich verspreche, mit Vic zu reden.
     
    Zum Frühstück mangelt es mir in letzter Zeit an Appetit. Ich trinke schwarzen Kaffee und löse mir für die Gesundheit eine Vitamintablette in Wasser auf. Ich male nachdenklich mit dem Finger die Linien der zerlaufenen Butter auf dem Toast nach. Ein Bissen, dann schiebe ich ihn zur Seite.
    Neben mir auf dem Edelstahltresen steht Vics Frühstücksgeschirr. Sie ist in der Schule. Aufatmend registriere ich, dass ihre Müslischüssel bis auf den letzten Krümel geleert ist.
    Ich klappe den Deckel vom Mülleimer hoch, um meinen Toast zu entsorgen. Da grinsen mich die kostbaren Vollwertflocken, die meine Schwester essen sollte, hämisch an. Zufällig liegen sie wie zu einem Gesicht drapiert zwischen zerknüllten Hamburger-Pappen. So viel zum Thema gesunde Ernährung!
    Ich klettere seufzend wieder auf den Barhocker, um das Vitamintablettenwasser hinunterzukippen.
    Ken erscheint. Sein Gesicht sieht sorgenvoll aus. Unterm Arm trägt er die Zeitung. Er schenkt sich Kaffee ein und reicht mir wortlos die Titelseite.
    ‚Politiker tot aufgefunden‘ – die fette Schlagzeile springt mich sofort an. Darunter prangt ein kurzer Text in Meldungslänge von Jelzick ohne Foto. Atemlos überfliege ich ihn.
    Die konservativen Nachwuchspolitiker Gerd Hansen und Malte König seien gestern tot in ihrem Auto auf einer Wiese in Schlamersberg aufgefunden worden. Näheres sei bei Redaktionsschluss unbekannt gewesen.
    Hansen und Glatzkopf tot? Die Buchstaben tanzen vor meinen Augen.
    Der Inhalt ist dürftig. Anscheinend kannte Jelzick keine Einzelheiten. Aber die nackte Nachricht steht im Raum. Irrtum ausgeschlossen!
    Erst jetzt spüre ich Kens Blick, der die ganze Zeit ernst auf mir ruht. Er schaut mich so vorwurfsvoll an, als ob ich Hansen und Glatzkopf auf dem Gewissen hätte. Ich? Ist mein Traum Realität?
    Ich nehme mir den knappen Text erneut vor, als erwarte ich darin, etwas von einer abgefackelten Waldarbeiterhütte zu lesen. Sie taucht nicht auf. Und Schlamersberg liegt nördlich von Rosenhagen, während der Herbecker Forst sich von der Stadt aus gesehen im Westen befindet. Ich lege die Zeitung weg.
    Ken schüttelt bedeutungsvoll seinen Kopf.
    „Warum machst du das? Willst du mir was unterstellen?“ Ich kreische ihn hysterisch an.
    „Ich habe dir gesagt, du sollst vorsichtig sein!“, antwortet er betont ruhig und verlässt den Raum. Er lässt mich mit meiner Hysterie stehen.
    Ich schmeiße das halbleere Glas mit dem Vitamintablettenwasser gegen die Wand. Körniges Orange läuft langsam auf dem Vanillegelb hinunter. Zurück bleiben hässliche dunkle Schlieren.
    Rastet in meinem Gehirn etwas aus? Bin ich wie die arme Schneiderin nicht mehr ganz richtig im Kopf? Tue ich Dinge, an die ich mich hinterher nicht erinnern kann? Aber Ehrhardts Tod kann ich nach wie vor jederzeit abrufen. Leider!
    Und Hansen und Glatzkopf? Wieder fällt mir der Traum ein. Sagt man nicht, wer einmal gemordet hat, der schreckt auch vor einem zweiten oder dritten Mal nicht zurück? Entwickele ich mich zu einer Gefahr für die Menschheit? So eine Art tickende Zeitbombe, die von einem auf den anderen Moment in eine neue Persönlichkeit schlüpft und diese Verwandlungsprozesse selber gar nicht registriert. Wie soll ich für meine minderjährige Schwester sorgen, wenn ich unzurechnungsfähig bin?
    Ich trinke Kaffee. Dann lese ich Jelzicks Text wieder und wieder. Eindeutig: Die Waldarbeiterhütte kommt darin nicht vor! Tot im Auto. Ich kneife die Augen zusammen, aber ich sehe die Szene nicht vor mir.
    Die Ungewissheit ertrage ich nicht länger. Ich rufe Jelzick an. Sicher weiß er heute nähere Details. Meine Neugierde