Mordsschock (German Edition)
einer Zange hole ich die Whiskeyflaschen heraus. Ich deponiere sie so auffällig in dem winzigen Raum, dass Hansen und Glatzkopf im Schein ihrer Taschenlampen darüber stolpern müssen.
Im Laufschritt haste ich, das Fahrrad wie einen Kinderwagen vor mir herschiebend, neben dem Waldweg zurück durchs Gebüsch.
Am nächsten Abend bin ich eine Stunde vor der verabredeten Zeit da. Ich trage Schuhe von Ken, die mir drei Nummern zu groß sind, und einen Rucksack mit einem Benzinkanister. Mühsam überwinde ich mit dieser Last und dem unbequemen Schuhwerk einige Blätterberge.
Vor der Hütte tränke ich alte Lappen mit Benzin und verteile sie im Innenraum hinter einem Holzstapel. Ich schwinge den Kanister über das Dach der Hütte und übergieße sie mit Benzin. Meine Vorbereitungen sind beendet. Nun heißt es abwarten!
Ich verkrieche mich gegenüber der Hütte im Buschwerk.
Pünktlich, wie verabredet, erscheinen Hansen und Glatzkopf um 22 Uhr. Sie bleiben eine Zeit lang vor der Hütte stehen und leuchten mit ihren Taschenlampen den Waldweg ab. Mir klopft das Herz bis zum Hals. Wenn sie nun gar nicht hineingehen und nichts trinken?
Aber nach einer Weile wird es Glatzkopf zu langweilig. Die Neugier siegt. Er stößt die Hüttentür auf.
Hansen folgt ihm ins Innere.
Ich höre nur leises Gemurmel.
Wind kommt auf und fährt unbarmherzig durch die kahlen Äste der Bäume und spielt mit meiner Steppjacke.
Fröstelnd kauere ich mich hinter einer kleinen Fichte zusammen. Wie eine Ewigkeit erscheint mir die Zeit, die ich dort hocke.
Die Hüttentür geht auf. Hansen schaut heraus. Er trägt eine Flasche in der Hand. Oje, er wird doch nicht draußen weiter trinken?
„Puh, der Wind pfeift rein. Mach die Tür zu!“, grölt Glatzkopf von drinnen. Täusche ich mich oder lallt er bereits?
Hansen gehorcht. Seine Schritte sehen unbeholfen und tapsig aus. Wie ein großer Tanzbär dreht er sich auf dem Absatz um und verschwindet wieder ins Innere.
Ich warte. Es ist still.
Langsam verlasse ich mein Versteck und nähere mich der Hütte. Ich presse ein Ohr gegen die Holzwand und lausche. Kein Mucks! Wieder verstreichen einige Minuten.
Als es so still bleibt, ziehe ich ein Feuerzeug aus der Tasche und halte es gegen das mit Benzin getränkte Dach. Ich muss die Prozedur mehrmals wiederholen, bevor es überhaupt zündelt. Zögerlich tanzen kleine Flämmchen auf dem Dach. Ein neuer Windstoß gibt ihnen Futter. Sie beginnen ihren wilden Tanz. Gemeinsam sind sie stark. Sie wachsen und wachsen. Es ist atemberaubend. Mitten in der Finsternis des Waldes wird die Waldhütte in einen grellen Lichtkegel eingehüllt. Ich schmeiße den Kanister in die Hütte und renne davon. Es rumpelt und knistert bedrohlich. Nicht mehr lange, und sie stürzt ein.
Der beißende Qualm treibt mir Tränen in die Augen. Ich kann nichts mehr sehen. Die Nässe weicht meine Pupillen auf und macht sie schwer wie Blei. Meine Augen laufen über. Ich heule literweise Wasser. Genug, um den Brand wieder zu löschen. Aber das Feuer sehe ich gar nicht mehr. Um mich herum ist nichts als schwarze Nacht. Ich weine und weine.
„Nina, was ist los?“ Jemand rüttelt und schüttelt mich.
Mühsam schlage ich die verweinten Augen auf. Ich liege im Bett und bin pitschnass geschwitzt. Mein Kopfkissen trieft.
Ken starrt mich fragend an. „Hast du schlecht geträumt?“
„Ich habe sie mit Ecstasy, Schlaftabletten und Alkohol betäubt. Sie sind verbrannt“, murmle ich verstört vor mich hin.
„Wer?“
„Hansen und Glatzkopf. Sie haben das Zeug getrunken.“
„Ecstasy? Von welchem Dealer hast du das denn?“ Ken verzieht spöttisch die Mundwinkel nach unten.
„Vic.“ In meinem Kopf dreht sich alles. Ich sinke stöhnend zurück auf mein nasses Kissen. Jeder Knochen in meinem Körper schmerzt, ich fühle mich hundeelend. Schwach, ausgepowert, zerschlagen, müde.
Umso munterer wird Ken. „Was? Deine elfjährige Schwester besitzt Ecstasy? Womöglich lagert sie es bei uns im Hause? Höchste Zeit, dass die Kleine endlich in gestrenge Obhut kommt. Die tanzt dir auf der Nase herum. Ecstasy – ich glaube es nicht!“
Wie eine Achtzigjährige hänge ich schlaff und antriebslos auf dem Sofa und starre in die züngelnden Flammen des Kamins. Das Glas Rotwein neben mir rühre ich nicht an. Katerstimmung habe ich ohnehin. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Es ist, als ob mich eine Zentnerlast gewaltsam zu Boden drückt. Ich kann es nicht länger vor mir selber
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