Mordsschock (German Edition)
Schwefelwasserstoff. Ein heimtückisches Giftgas.“
„Wie kommt man denn zu so was?“ Jelzick ist platt.
„Offensichtlich haben die beiden in einer Jauchegrube gelegen. Wir haben entsprechende Reste in den Fasern ihrer Kleidung entdeckt. Da sich niemand freiwillig im Mist aalt, vermuten wir, dass die Herren durch die Medikamente bereits bewusstlos waren. Ihr Tod dürfte schon eine halbe bis eine Stunde eher eingetreten sein, bevor der Motor des Autos gestartet wurde, in dem die Opfer saßen.“
„Das heißt, jemand hat sie als Leichen ins Auto gesetzt und alles so fingiert, dass es wie Selbstmord aussieht?“ Jelzick kaut auf seinem Kuli.
„Und der Brief?“, rutscht es mir heraus.
Der Pathologe zuckt die Achseln und schielt bei dieser Bewegung wieder auf seine Armbanduhr. Wahrscheinlich sind die fünfundzwanzig Minuten Sprechzeit um. „Mit etwas Fantasie kann jeder so einen Brief tippen. Übrigens stammte das Wasser in der Kleidung der Opfer aus keinem umliegenden Gewässer. Es handelte sich um normales Leitungswasser.“
„Der Täter hat seine Opfer abgeduscht, um die Jauche abzuwaschen? Aye, was für ein würdiger Tod!“ Jelzick sieht selig aus. Das wird die Story seines Lebens.
Mit der Post kommt eine neue Vorladung für Ken aufs Polizeipräsidium. Der Marathon startet von vorne. Natürlich werden alle Abgeordneten der Konservativen durch den Wolf gedreht. Der sogenannte ‚Abschiedsbrief‘ wurde ja anscheinend im Fraktionsbüro ausgedruckt.
Ich kann mich auf reichlich schlechte Laune vorbereiten. Und Kens Homestory haben meine Exkollegen zugunsten der brandheißen Mordgeschichte, die über zwei Seiten läuft, geschoben.
Wenigstens war das Gespräch mit dem Pathologen heilsam für meine geschundene Psyche. Die Details, die ich erfahren habe, sind mir so neu, dass ich die beiden unmöglich auf dem Gewissen haben kann. Selbst wenn ich an Persönlichkeitsspaltung leide, könnte ich niemals zwei Männer nacheinander in eine Jauchegrube wuchten und anschließend in ein Auto setzen. Und Hansen und Glatzkopf waren keine Leichtgewichte. Ich erinnere mich lebhaft an Glatzkopfs Muckis.
Zur Beruhigung lasse ich wieder den möglichen Tathergang vor meinem inneren Auge ablaufen und souffliere mir ein, dass meine Beteiligung daran ausgeschlossen ist. Dieser Traum war nur ein dummer Zufall!
Lautes Geschrei lenkt mich von meinen Grübeleien ab. Meine kleine Schwester trampelt die Treppe herunter und hält mir einen zerfledderten Prospekt unter die Nase. „Ich gehe nicht hin!“ Zur Bekräftigung ihrer Worte stampft sie so kräftig auf den Fußboden, dass ich erwarte, dort gleich ein Loch zu sehen. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Plötzlich sieht sie mit ihren geröteten Augen in ihrer unbeschreiblichen Wut wieder wie eine Elfjährige aus. Oft vergesse ich ihr Alter, weil sie so unabhängig ist. Jetzt ist sie ein kleines, trauriges Mädchen, das tröstend in die Arme genommen werden will. Keine kleine, widerspenstige Erwachsene wie sonst. Verletzliche Vic.
Ich drücke sie an mich und empfinde ihren Schmerz mit, ohne zu wissen, worüber sie so unglücklich ist. Ihre Haut ist weich und riecht nach taubenetzten Rosenblättern. Ein seltener Moment in unserer Schwester-Schwester-Beziehung. Gefühlsduseleien lässt Vic meistens nicht zu.
Die Berührung tut ihr gut. Ihr rascher Atem geht langsamer.
Ich tupfe mit meinem Ärmel ihre Tränen ab.
Langsam löst sie sich von mir. Der zerfetzte Prospekt segelt zu Boden.
„Was ist das überhaupt?“ Ich bücke mich nach der farbigen Broschüre.
„Ein Internat!“
„Wo hast du den Prospekt her?“
„Von Kens Schreibtisch.“
„In seinem Arbeitszimmer hast du nichts zu suchen.“
„Doch, denn es betrifft ja mich!“ Vics Logik ist bestechend. „Ich weiß, dass der mich loswerden will!“
Ich kann sie nicht anlügen. Es würde auch nichts nützen. Vic hat so viele Fehler wie ein feuchtwarmer Sommer blutsaugende Mücken auf die Menschen hetzt, aber dumm ist sie nicht!
„Nina, lass uns abhauen! Zusammen. Wir brauchen den nicht!“ Sie meint Ken.
„Man kann nicht verschwinden, wenn es mal schwierig wird.“ Die Worte ‚mal schwierig‘ klingen wie die Untertreibung des Jahres in meinen Ohren, aber das kann ich meiner kleinen Schwester nicht sagen. Sie darf nicht wissen, dass ich nicht nur finanziell von diesem Mann abhängig bin. Niemals soll Vic erfahren, wer Matthias Ehrhardt umgebracht hat. Das habe ich mir geschworen.
Ich ringe um klare
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