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Mordsschock (German Edition)

Mordsschock (German Edition)

Titel: Mordsschock (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gaby Hoffmann
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war, aber sie verliehen seinem Gesicht genau die richtige Prise von Seriosität. Lachfältchen, weil er versuchte, auch die leichten Seiten des Lebens mitzunehmen? Egal, so wie er den Rücken durchdrückte und dabei jeden Muskel seines Körpers anspannte, glaubte man ihm, über genügend Selbstdisziplin zu verfügen, um jegliche Probleme zu meistern. Und was für eine Stimme! Tiefe, Energie, Weichheit und Erotik klangen in jedem seiner Worte mit. Sie verselbstständigten sich zu Emotionen. Es prickelte. Seine Stimme füllte den Raum, schubste – ohne dass es sich rücksichtslos anfühlte – alle anderen menschlichen Laute weg. Niemand stellte eine Frage oder wagte gar einen Zwischenruf. Auf dem Inhalt lag kein Gewicht.
    Ken Winter strahlte diese heitere Gelassenheit aus, die sich die meisten Menschen wünschen. Ob sie angeboren war oder ob er hart dafür trainiert hatte? Seine Augen funkelten, signalisierten Wachheit, was die anderen Politiker abgestumpft erscheinen ließ. Die Hände setzte er beim Reden sparsam ein, nur um ein Anliegen zu nuancieren. Als bildliche Pointe des Gesagten. Ganz anders Huber, der die ganze Zeit wie wild mit den Händen fuchtelte, bis gar nichts mehr wichtig wirkte – er wedelte seine Worte selbst weg. Oder der Grüne, dessen Arme schlaff wie ein welkes Bund Suppenkraut an den Seiten herunterhingen.
    In regelmäßigen Abständen huschte ein verschmitzter, lausbübischer Ausdruck über Ken Winters Gesicht, dann lockerte er seine Rede mit einer Anekdote auf. Das Publikum lachte, wenn er es wünschte. Krauste er ernst die Stirn und sprach mahnend, blickten sie ihn betroffen an. Er spielte mit ihren Gefühlen wie ein Zauberer. Ohne dass auf dem Podium Kaninchen aus dem Hut hüpften oder weiße Elefanten durch brennende Reifen sprangen, hingen alle in der Aula an seinen Lippen. Mit Siegerlächeln verließ Ken Winter das Podium. Jeder, der irgendwelche Zweifel an der Bebauung des Gottesangers gehegt hatte oder die Kritik der Hanselmann teilte, war bekehrt!
    Nach der Sitzung suchte ein dritter Mann meine Bekanntschaft. Er gehörte ebenfalls zu den Konservativen, war aber jünger als von Stetten und Winter. Eher in meinem Alter. Er verneigte sich leicht. „Meine Verehrung. Wie angenehm, Sie kennenzulernen! Ich heiße Matthias Ehrhardt und freue mich auf eine prospektive Zusammenarbeit.“ Was um Himmels willen meinte er damit? Er sprach langsam, betonte jede Silbe, wählte seine Worte sorgfältig aus – wenn mir der Sinn auch manchmal schleierhaft blieb. Seine Stimme besaß einen angenehmen melodischen Klang – sicher verfügte er über Musikalität. Zuvorkommend holte er mir einen Kaffee, den eine der weiblichen Abgeordneten aus Thermoskannen ausschenkte.
    Ehrhardt ging ein wenig vornübergebeugt, als blase ihm eine unsichtbare Windböe hinten ins Genick und er wolle ihr rasch entfliehen. Mit dem Plastikbecher in der Hand verbeugte er sich wieder so höflich vor mir, dass ich mir einbildete, wir befänden uns auf einem adeligen Landsitz und er würde mir eine Tasse Mokka aus Hutschenreuther-Porzellan kredenzen. Vorsichtig blinzelte ich in die Runde, um zu erkunden, ob ich mich in der zugigen Aula aufhielt oder mittlerweile in der Kulisse eines Kitschfilmes aus dem vorigen Jahrhundert. Nur der Handkuss fehlte. Zwar gewöhnungsbedürftig, aber mir gefiel diese Kavaliers- und Gentlemantour auch im 21. Jahrhundert.
    Ehrhardt, einen Kopf größer als ich und etwas pummelig, drehte öfter den Kopf in Richtung rechte Schulter. Er besaß offensichtlich nicht wie seine Parteikollegen ein Dauerabo fürs Sonnenstudio. Seine Haut schimmerte normal mitteleuropäisch blass für diese Jahreszeit. Die dunkelblonden Haare trug er zu einem exakten Seitenscheitel aus dem Gesicht gekämmt. Augen, Nase und Mund saßen in perfektem Abstand und Größe zueinander, als hätte Ehrhardt sie extra so hingetrimmt und vor seiner Geburt ein Mustergesicht bestellt. Nur seine zu fülligen Wangen erinnerten ein bisschen an Hamsterbäckchen – gerade das verlieh ihm aber Pep. Perfekte Menschen mit perfekten Manieren sind langweilig.
    Sobald ich unbewusst im Gespräch Blickkontakt suchte, senkte er rasch die Augenlider oder fixierte schräg an mir vorbei einen unsichtbaren Punkt an der Wand. Schüchternheit fand ich niedlich. Männliche Verlegenheit erhöht die eigene weibliche Attraktivität! Sie stachelt meine Fantasie an – welche Frau träumt nicht von einem Verehrer, der ihr Gedichte schreibt, weil er zu schüchtern

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