Mordsschock (German Edition)
Politiker in einer zugigen Schulaula war allerdings das Letzte, das ich erwartet hatte!
Einer von den Grünen schlurfte auf Holzlatschen zum Rednerpult. Als wandelnde Schlaftablette und in ein ausgeleiertes Sweatshirt in verwaschenen Regenbogenfarben sowie eine schlabberige lila Stoffhose gehüllt, faselte er langatmig in breiter Aussprache davon, dass man nun im Allgemeininteresse handle, wenn die Grundstücke ausgeschrieben würden. Endlich hätten auch Randgruppen und sozial Benachteiligte faire Chancen. Wieso, leuchtete mir zwar nicht ein, denn Geld musste ja bezahlt werden, aber Huber gab dem Öko nach einer Weile einen Wink, jetzt endlich das Maul zu halten. Die Grünen hatten wohl nicht viel zu melden. Wenn sie weiter mit Huber regieren wollten, mussten sie sich seinen Genossen unterordnen. Müde sank der Öko wieder auf seinen Stuhl, wo er verstohlen ein herzhaftes Gähnen unterdrückte.
In der abschließenden Einwohnerfragestunde erkundigten sich aufgeregte Bürger nach dem Bewerbungsprozedere. „Gleiche Chancen für alle Rosenhagener“, versicherte ihnen Huber ständig und erntete jedes Mal viel Applaus.
Als er sich zum fünften Mal gnädig lächelnd verbeugte, sprang eine Frau mit kurzen roten Haaren, Anorak und Jeans auf. „Warum müssen wir alles zubetonieren?“, kreischte sie schrill.
Huber und die anderen schauten sie verdutzt an. Mit Kritik hatten sie nicht gerechnet.
„Am Ufer der Tale sind Brut- und Nistplätze des Flussregenpfeifers und der Wasseramsel. Hier gibt es viele Kleinbiotope für Amphibien und Insekten. Wollen Sie diesen Lebewesen ihren letzten Lebensraum wegnehmen?“
„Wir möchten selbstverständlich die Natur erhalten. Es wird eine Zone am Uferrand der Tale ausgewiesen, die nicht bebaut werden darf. Sie können also ganz beruhigt sein, dass die Tiere nicht vertrieben werden.“ Huber sprach sanft, als könne er auf diese Weise die lästige Bürgerin zum Schweigen bringen.
„Ha!“, schrie die Frau. „Haben Sie das gehört? Das können Sie niemandem weismachen. Die Grundstücke werden bis zum Fluss runtergehen, dann machen die Besitzer dort, was sie wollen.“
War Huber ärgerlich, so hatte er sich so gut in der Gewalt, dass man es ihm nicht ansah. „Jeder erhält die Auflage, bis unten heran weder zu bauen noch etwas zu verändern, was der Natur schaden könnte.“
„Sobald da unten erst mal die vielen Leute herumtrampeln, gibt’s für die Tiere keine ruhige Minute mehr. Ich verlange die Ausweisung des Gottesangers zum Naturschutzgebiet! Mein Name ist Hanselmann. Sie werden von mir hören!“ Die militante Frau ließ sich nicht beschwichtigen.
Huber bekam Hilfe von anderer Seite. Mit lauten Buhrufen und Grummeln kommentierten die Bürger Frau Hanselmanns Forderung. „In der Kieskuhle ist genügend Platz für die Vögel!“, rief einer.
„Genau! Und wo bleiben wir Menschen?“, krakeelte ein anderer.
„Eben! Die Großstädter haben unsere Dörfer ringsum zugebaut. Jetzt sind wir Rosenhagener mal am Zug!“, ereiferte sich wieder einer.
Eine Glocke bimmelte, um die erregten Gemüter zu beruhigen. „Ruhe bitte!“, mahnte der Sitzungsvorsitzende.
Frau Hanselmann schlug eine Welle der Feindseligkeit entgegen. Sie stand auf verlorenem Posten. Offensichtlich waren die anderen Einwohner zu heiß auf die begehrten Grundstücke, um sich Gedanken über Naturschutz zu machen. Mit geballter Faust in Richtung Huber und Restpolitiker verließ sie wütend die Aula.
Ich beschloss, ihren kurzen Auftritt in meinem Artikel zu ignorieren, da es sich um eine einzelne Meinung handelte. Der Tenor einer Zeitung sollte die Stimme der Mehrheit sein, so viel war mir klar.
Ken Winter betrat das Podium. Forsch marschierte er zum Rednerpult. Minutenlang sagte er gar nichts, sondern starrte auf das aufgeregt murmelnde Publikum herab. Aber es reichte, dass er einfach nur dastand. Der Tumult, den Frau Hanselmann hinterlassen hatte, flaute ab. Die Leute verstummten. Gespannt schauten sie nach vorne, als erwarteten sie von Ken Winter neue Informationen. Die lieferte er nicht, er wiederholte die positiven Aspekte der Grundstücksbebauung seiner Vorredner. Trotzdem war es etwas anderes! Er stach alle mühelos aus. Endlich verstand ich die Bedeutung des Begriffs ‚Charisma‘. Es war die Art, wie er den Kopf hielt. So hoch, so stolz, als wollte er sagen: Was kostet die Welt? Ich kaufe sie! Oh, leichte Fältchen um Mund und Augen erzählten davon, dass sein Weg nicht immer einfach gewesen
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