Mordsschock (German Edition)
mich damit jagen. Damals kippte ich drei Riesenbier, um die Gräte runterzuspülen. Alle Gäste drehten sich nach mir um, weil ich so laut röchelte. Schamrot wankte ich aus dem Lokal. Das sind Augenblicke im Leben, die man nicht vergisst. Seitdem mache ich um alles, was Flossen hat, einen Bogen. Kein Wunder, dass mich schauderte, als ich in der Ecke einen undefinierbaren ausgestopften Fisch mit aufgesperrtem Maul entdeckte.
Paolo, der kleine dicke Wirt, hüpfte wie ein Gummiball zwischen seinen Gästen hin und her und gab seine italienischen Scherze zum Besten. Es galt als Auszeichnung, wenn er sich an einem Tisch länger aufhielt oder gar privat mit den Gästen plauderte. Dann hatte man es fast geschafft!
Noch besser natürlich, wenn einem schon beim Eintreten in das Restaurant Paolo und sämtliche Kellner entgegenstürzten, Küsschen links und rechts auf die Wange drückten und ‚Cara Bella‘ schrien. Das war der Beweis für absolutes Angesagtsein! Diese Leute wurden von den anderen Gästen mit neidischen Blicken verfolgt und glühend bewundert. Um auf der Rangliste auch einmal so weit nach oben zu gelangen, gingen manche von ihnen jeden Abend zu Paolo. Irgendwann würde der von einem Notiz nehmen, und endlich tat sich jene herrliche In-Welt auf, die auch Nobodys das Gefühl gab, ein bisschen V.I.P. zu sein.
Als ich reinkam, stürzte niemand auf mich zu. Ich war in Jeansjacke, Neckholdertop und goldglänzender Jeans underdressed. „Hi, wie geht’s?“ Betont lässig begrüßte ich Ehrhardt, um ihn aus der Reserve zu locken. Einfach lächerlich, dass zwei Twens sich wie Tattergreise anredeten!
Aber Ehrhardt konnte anscheinend nicht anders. Höflich reichte er mir die Hand, wies mit einer dezent angedeuteten Verbeugung auf einen Zweiertisch in einer Nische. Nebenbei registrierte ich, dass wir ein komisches Paar abgaben: Ich im Freizeitlook und er im dunklen Anzug. Zumindest trug er drunter nur ein roséfarbenes Oberhemd ohne Krawatte oder Fliege. Ich stellte mir vor, wie Ehrhardt nach drei Gläsern Prosecco den obersten Hemdknopf öffnen würde.
„Was möchten Sie trinken?“
„Oh, Pros...“, fuhr ich aus meinen Träumereien hoch, biss mir rasch auf die Zunge und verbesserte mich: „Das Gleiche bitte wie Sie.“
Ehrhardt orderte Weißwein. Pech gehabt, wo ich Roten viel lieber mochte!
Ein junger, dunkelgescheitelter Kellner kam an unseren Tisch und erkundigte sich zwitschernd: „Haben Signori gewählt?“
„Ah, Antonio, wie geht’s?“ Ehrhardt begrüßte den Kellner überschwänglich. Weltmännisch wandte er sich zu mir. „Der Fisch ist sehr zu empfehlen.“
„Spaghetti Bolognese“, bestellte ich schnell entschlossen mein Leibgericht.
Ehrhardt entschied sich für Lachs an Gemüselasagne.
„Ich gehe gerne ins Stradivari oder ins Lotto “, knüpfte ich ein Gespräch über Hamburger Szene-Restaurants an.
„Äh, ja. Dort ist die Atmosphäre äußerst angenehm“, stimmte mir Ehrhardt zu, obwohl er sichtlich keine Ahnung hatte, wovon ich sprach.
Inzwischen drapierte der Kellner singend knuspriges Weißbrot und Kräuterbutter auf unserem Tisch.
„Antonio, was machen die Frau Gemahlin und die Bambini?“, fragte Ehrhardt den Kellner. „Bambini schon soo groß?“ Er legte seine Finger eine Handbreit über die Tischfläche.
Der Kellner nickte bloß strahlend. Ich hatte den Eindruck, er verstand weder, was Ehrhardt meinte, noch wusste er, wer er war. Seine Höflichkeit verbot ihm, sich das anmerken zu lassen.
Beim Hauptgang erzählte ich Ehrhardt von meinem Gespräch mit dem Bürgermeister. Ich hoffte, er würde nun seine Parteikollegen in Bewegung setzen, um die Hintergründe dieser seltsamen Grundstücksvergabe aufzudecken und mir damit eine ordentliche Geschichte zu liefern.
Ehrhardt besaß die Gabe, ruckartig umzuschalten. Wie neulich im Eiscafé überzog abrupt eine gewisse Schärfe seine weichen Konturen. Sorgfältig legte er das Besteck beiseite, als könne er sich so besser auf seine Antwort konzentrieren. „Ohne Zweifel interessant, aber wir brauchen Zeit, um die ganze Angelegenheit gründlich zu prüfen. Wenn wir voreilig handeln, können wir mehr kaputt machen als gewinnen.“ Um die Wichtigkeit seiner Aussage zu unterstreichen, betonte er jedes Wort.
Warum brannte er nicht darauf, den Bürgermeister so schnell wie möglich zu demontieren? Schließlich wollte sein geliebter Ludwig nächstes Jahr erster Mann im Rathaus werden. Ich verstand zu wenig vom politischen Geschäft
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