Mordsschock (German Edition)
Frauen wiegten sich in den Hüften. Er war auf jeden Fall eher Sympathieträger als der amtierende Bürgermeister. Sein Pech, dass die Rosenhagener seit Jahrzehnten traditionell sozialdemokratisch wählten! Würde sein Charme diese Hochburg nächstes Jahr sprengen?
Schrille Pfeiftöne schreckten die Idylle der Konservativen auf. Mit Frau Hanselmann an der Spitze marschierten 15 Leute über den Marktplatz. Alle hatten Trillerpfeifen um den Hals hängen, in die sie in regelmäßigen Abständen kräftig bliesen. Sie verteilten Wurfblätter ‚Hände weg vom Gottesanger! Schützt den Flussregenpfeifer!‘ und sammelten Unterschriften gegen eine Bebauung.
Wir schlenderten rüber zu einem Eisverkäufer und gönnten uns ein Schokoeis. Ich biss in die Waffel, sodass es laut krachte und ich das halbe Eis unterm Kinn kleben hatte. In diesem Augenblick sah ich Ken Winter im Stechschritt auf den Stand seiner Parteifreunde zu eilen.
Er entdeckte mich und winkte heftig.
„Wer ist das?“, wollte Lila neugierig wissen.
„Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Konservativen“, murmelte ich mit vollem Mund und bemühte mich, die klebrigen Eisreste vom Kinn zu wischen.
„Hm, ganz sexy!“, kommentierte Lila seine Erscheinung.
Ken Winter, im sportlichen hellblauen Kurzarmhemd, das seine Bräune unterstrich und die blauen Augen betonte, grinste jungenhaft zu uns rüber, während er mit seinen Parteikollegen etwas besprach. Die schwarze, schmalgeschnittene Hose, vermutlich Boss, streckte seine kleine Statur und ließ ihn größer wirken, als er war. Der Mann hatte Geschmack. Er wusste, sich optisch in Szene zu setzen. Aber er tat es unaufdringlich, weswegen es einem erst auffiel, wenn man darüber nachdachte. Warum machte ich mir überhaupt Gedanken über das Äußere dieses Mannes? Hatte ich nicht genügend eigene Probleme?
„Bei denen ist wohl das Solarium gleich in der Schreibtischlampe eingebaut!“, alberte Lila und ließ ihre rosa Zunge um die Eiskugel kreisen.
„Zum Gewinnerimage gehört eben die Dauerbräune.“ Die Hälfte der Männer hinter dem Stand glich heimgekehrten Malediven-Urlaubern.
Ken Winter drehte sich um und kam auf uns zu. Strahlend begrüßte er mich, flirtete sofort mit Lila und wirkte hinreißend gutgelaunt.
„Haben Sie Zeit? Ich lade Sie zum Essen ein. Ich möchte Ihnen gerne mein neues Kreisverkehrskonzept erläutern.“
Manchmal schaltete Lila erstaunlich schnell. „Oh schade, ich bin gleich verabredet! Ich muss jetzt los. Aber viel Spaß.“ Sie blinzelte mir zu und verabschiedete sich.
Natürlich war Lila mit niemandem verabredet, außer mir kannte sie keine Menschenseele in Rosenhagen. Sie würde durch die Boutiquen ziehen und mir abends grässliche lange Hosen in Rentnerbeige, schlammfarbene Gummistiefel oder ein kariertes Stoffhütchen, wie es Willy gerne in seiner Freizeit trug, präsentieren. Alles würde an ihr fantastisch aussehen, und sie hätte mal wieder einen neuen Trend geboren.
Wir gingen in das Marktcafé mit den türkisen Fensterbögen und der gläsernen Fassade, das zu jeder Tageszeit ein beliebter Treffpunkt in Rosenhagen und mit dem durchdringenden Geruch nach frisch gebrühtem Kaffee einparfümiert war. Mittags mauserte es sich zum Bistro. Von den paar Kaffeetanten, die unter der Woche kamen, und den Familienkuchenschlachten am Sonntag alleine konnte es bestimmt nicht existieren.
An den weiß eingedeckten Tischen saßen bereits einige Leute vor leichten Suppen und gesunden Salaten. Im riesigen durchsichtigen Kuchenbüfett neben der blank gescheuerten Serviertheke lockten verheißungsvoll reich garnierte Sahnetorten für schwere Sünden am Nachmittag. Wir bestellten zwei Nizzasalate. Der Schafskäse roch ein bisschen gammelig. Lieferte der Türke vom Markt seine Reste zum Sonderpreis ans Café? Durch die großzügige Fensterfront verfolgten wir das bunte Treiben draußen mit.
Eben drehten Frau Hanselmann und ihre Getreuen wieder eine neue Trillerpfeifenrunde. Unwillkürlich duckte ich mich. Wer wusste, wozu diese hartnäckige Frau fähig war, wenn sie mich erkannte. Womöglich schleifte sie ihre Trillerpfeifenvasallen an unseren Tisch und forderte einen Platz in der Zeitung.
Ken Winter schilderte mir sein Kreisverkehrskonzept, und ich versprach einen Artikel darüber zu schreiben. Sein Aftershave verbreitete einen herb energischen Duft mit sinnlicher Ausstrahlung.
„Ihre Freundin ist nett und hat Stil“, lobte er Lila, als ich meine Notizen
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