Mordsschock (German Edition)
mich erschrocken an, woraufhin ich einen Tumult erwartete.
Einen Moment lang betrachtete die alte Dame aufmerksam die Spangen in ihrer Hand, als ob diese gleich lebendig werden würden. Schallend lachte sie los. „Meinen Sie, die stehen mir?“
„Klar, Sie müssen sie einfach nur reinklippen.“
Luise Müller klippte sich die Schmetterlinge in die Locken. Dabei gluckerte sie die ganze Zeit vor Lachen und schlenkerte vergnügt mit ihren Armen, deren lederne Haut mit Altersflecken gesprenkelt war und an überreife Bananenschalen erinnerte.
„Gernot, bring mir mal einen Spiegel!“, herrschte sie ihren Enkel an.
Hektisch reichte er ihr wenig später einen Spiegel.
„Hm, gar nicht so langweilig!“, schmunzelte sie und betrachtete sich zufrieden.
„Ich schenke Sie Ihnen.“
Luise Müller winkte mich näher zu sich heran. „Sie sollen mich wohl interviewen?“ Die Jubilarin wandte sich jetzt an ihre Gäste: „Geht rüber in den Essraum! Ihr könnt euch auf meine Kosten mit Kaffee und Kuchen den Bauch vollschlagen.“
Erleichtert machten sich ihre Verwandten gemeinsam mit den Politikern aus dem Staub.
Luise Müller guckte mir forschend ins Gesicht. „Wissen Sie, wie langweilig es in diesem Kaff ist? Wie sieht es bei Ihnen mit Männern aus?“
Ich hatte nicht erwartet, dass es andersherum verlaufen und sie mich interviewen würde. „Wie bitte?“
Ungeduldig schaukelte sie in ihrem Stuhl: „Na, MÄNNER! Diese besonderen Exemplare der menschlichen Gattung. Sind Sie verheiratet?“
Ich schüttelte meinen bleischweren Kopf.
„Haben Sie einen Geliebten?“
„Ähm ja, ich glaube ...“
Luise Müller blickte mich verständnisvoll an. „Männer machen es sich viel zu leicht. Zu Hause lassen sie sich betüteln und auswärts genießen sie.“ Sie erzählte mir aus ihrem Leben. Über die gute Rosenhagener Luft, wie es sich mein Chef ausgemalt hatte, schwärmte sie nicht. Im Gegenteil – als alleinerziehender Mutter mit ihrer unehelichen Agathe hatten ihr die Rosenhagener das Leben schwer gemacht. Den Vater von Agathe heiratete sie nicht, da er längst verheiratet war. Eine Scheidung kam nicht infrage. Luise biss sich durch.
Ich betrachtete die 103-Jährige jetzt mit anderen Augen. Das war nicht mehr irgend so eine Oma! Sie gehörte zu den wenigen berufstätigen Frauen ihrer Generation, pfiff auf Konventionen und setzte sich für Frauenrechte ein.
„Manchmal denke ich, dass unser Kampf nicht viel bewirkt hat, wenn ich mir meine feine Verwandtschaft so angucke. Meine Enkelin Inge heult, wenn ihr ein Nagel abbricht, und meine Urenkelin mimt bloß die treusorgende Hausfrau und Mutter. Ach, Sie glauben nicht, wie langweilig die sind!“
Ich musste zurück in die Redaktion, versprach Luise Müller aber, sie einmal zu besuchen.
„Essen Sie nachher einen Rollmops, das hilft. Ist auch gut gegen Langeweile!“, rief sie mir hinterher.
Ich flitzte durch die dunklen Gänge zum Ausgang, als könnte ich mit Tempo den fetten Kürbis auf meinem Hals zum Platzen bringen. Als ich die Tür des Altenheimes zuschlug und erleichtert draußen die frische Luft einatmete, löste sich ein Schatten aus dem Windfang.
Ehrhardt trat eilig auf mich zu. Offensichtlich hatte er dort gelauert, um mir wieder einige seiner Pressemitteilungen in die Hand zu drücken.
Das formvollendete Lächeln auf seinem Gesicht erlosch, weil Prange im gleichen Moment um die Ecke bog, sich auf eine Bank setzte, um dort auf Huber zu warten. Wie gewohnt, ruhten die Hände auf seinem Schritt.
Ich spürte seinen Lästerblick in meinem Rücken, als Ehrhardt und ich gemeinsam zum Parkplatz schlenderten. Junge, du bist fatal auf dem Holzweg! , dachte ich und versuchte, die stechenden Teufelchen in meinem Kopf zu überhören.
Ehrhardt teilte mir stolz mit, sein verehrter Gönner Ludwig habe es durchgesetzt, dass er den Vorsitz im Verkehrsausschuss bekäme.
Ich hörte seine Stimme aus weiter Ferne, weil kleine Hämmerchen in meinem Schädel schlugen. Tock, tock ...
„Ich finde das von Ludwig total okay. Man kann sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Er hat mir meine Antrittsrede abgehört. Er lässt niemanden im Stich“, schwärmte Ehrhardt und reichte mir die entsprechenden Papiere. „Oh, ist Ihnen nicht gut? Sie sehen so blass aus?“
Die Whiskeypulle hatte ganze Arbeit geleistet. „Nein, alles okay!“
„Wie wäre es mit einer Spazierfahrt? Ein bisschen frische Luft täte Ihnen gut. Danach würde ich Sie zum Mittagessen einladen.“
Mein
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