Mordsschock (German Edition)
seinen beeindruckenden Strauß aus Freesien, Gabardinen, Nelken und Orchideen hinter dem Rücken hervor und hielt ihn Luise Müller direkt unter die Nase, um seine Rede mit lauter Bassstimme fortzusetzen: „Der Bürgermeister selbst erlaubt sich, Ihnen zu diesem besonderen Anlass ein paar Blumen zu überreichen. Der Bürgermeister ist stolz und froh, dass ...“
Hier wurde Huber rüde unterbrochen. Luise Müller fegte die Blumen mit einer heftigen Bewegung zur Seite. „Junger Mann, nehmen Sie das Gemüse weg! Hatschi“, sie nieste lautstark, „ich bin allergisch dagegen. Aber sagen Sie mal, warum schreien Sie so? Haben Sie was an den Ohren?“
Huber war einen Augenblick lang perplex.
Ich verkniff mir ein Grinsen.
Der Bürgermeister besann sich auf sein wichtiges Amt und vollendete seine Rede.
Aber die Hauptperson hörte nicht mehr zu. „Nein, wie langweilig ist das alles“, murrte sie.
Als Ehrhardt zu einem offiziellen Glückwunsch ansetzte, kommandierte sie: „Alle halten jetzt die Klappe! Ich will Kaffee, und zwar schwarz!“
Ein graumelierter Herr im anthrazitfarbenen Anzug, so Ende fünfzig, sprang sofort los und brachte ihr eine Tasse. „So Oma, den genießt du aber heute ganz besonders, was?“, dienerte er eifrig.
„Dummes Zeug! Der Kaffee schmeckte heute auch nicht anders als sonst“, erklärte die Jubilarin in bestimmtem Ton. „Übrigens Gernot, hat dir mal jemand gesagt, dass du spießig aussiehst?“ Luise Müller kicherte über das entsetzte Gesicht ihres Enkels.
Seine Frau, eine schwarz gefärbte aufgetakelte Fregatte mit zwei Pfund Make-up im Gesicht, meinte verlegen lächelnd zu Huber und Prange: „Das ist das Alter!“
Luise Müller richtete sich in ihrem Schaukelstuhl auf. „Ich höre sehr gut, was du sagst, Inge. Und ich bin froh, dass ich nie in dein Alter kommen werde!“
Inge wandte sich zornesrot ab.
Ihr Gatte Gernot rollte jetzt einen Rollstuhl, in dem eine gebrechliche Gestalt hing, von der man nicht sagen konnte, ob sie Männlein oder Weiblein war, auf seine Oma zu. „Mutter möchte dir auch recht herzlich gratulieren, Oma“, wagte er sich wieder vor.
Luise Müller holte eine Brille aus ihrer Kleidertasche und setzte sie sich auf die runzelige Nase, musterte die Rollstuhlfahrerin, dann schüttelte sie den Kopf. „Agathe, Agathe, du siehst schlecht aus! Und dabei bist du gerade erst achtzig. Ich habe ja dauernd gepredigt, du sollst schwarzen Kaffee trinken und dich aufrecht halten. Übrigens, so’n Lütter ab und zu schadet auch nicht!“
Eine bebrillte jüngere Frau mit Dauerwelle schob einen kleinen Jungen nach vorne. Sie hatte sich offensichtlich so angezogen, wie sie glaubte, dass man bei solchen Anlässen angezogen sein müsste: weiße Bluse mit besticktem Spitzenkragen, blauer Faltenrock und braune Lederpumps. „Uroma, wir gratulieren dir herzlich. Hartmut hat extra ein Gedicht gelernt.“ Sie gab dem kleinen Jungen, der in seinem blauen Matrosenanzug wie verkleidet wirkte, einen Knuff, sodass er beinahe auf dem Schoß von Luise Müller gelandet wäre. Mit großen Augen stand er vor der alten Dame und guckte sie beeindruckt an.
Seine Mutter puffte ihn erneut und zischte: „Nun fang an!“
Aber Hartmut brachte keinen Ton heraus, sondern starrte seine Ururoma weiterhin mit großen Augen an.
Luise Müller lächelte zum ersten Mal. Sie nahm die Hand des kleinen Jungen und sagte: „Hartmut, lass bloß dein Gedicht stecken! Aber versprich mir eins, mein Junge …“
Hartmut nickte gespannt.
„Werde niemals so langweilig wie deine Mutter!“
Artig nickte Hartmut zum großen Ärger seiner Mutter wieder.
„Was willst du jetzt am liebsten machen?“, fragte Luise Müller ihren Ururenkel.
„Mit Benni mein neues Computerspiel ausprobieren“, antwortete er schüchtern.
„Na los, zisch ab!“, entließ seine Ururoma ihn.
Dankbar verdrückte Hartmut sich.
„Und Sie? Kommen Sie mal her!“, gestikulierte Luise Müller mich heran.
Etwas unbehaglich näherte ich mich ihr.
„Was haben Sie für Spangen im Haar?“
Ich hatte mehrere kleine Schmetterlingsspangen zugegebenermaßen wüst auf meinem zerknautschten Suffkopf verteilt. Nach Seniorengeburtstag sah ich mit meiner schwarz schillernden Hose und dem gleichfarbigen Top bestimmt nicht aus.
„Dass ihr jungen Leute so gerne in Schwarz geht! Aber diese Spangen gefallen mir.“
Ich fummelte die Spangen aus dem Haar und legte sie Luise Müller in die Hand. „Wollen Sie mal?“
Die Umstehenden blickten
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