Mordstheater
zurückkam, erinnerte ich mich wieder.
»Burton heißt sie. Ich habe keine Ahnung, wo sie
wohnt. Ich denke, in London. Können Sie mir sagen, was passiert ist?«
»Ich fürchte, es gibt zur Zeit nicht viel, was
ich Ihnen sagen kann. Warten Sie mal eben einen Moment draußen.«
Es kam mir wie Stunden vor, bis sie zurückkehrte.
Der Warteraum füllte sich mit den Verletzten der Guy-Fawkes-Nacht. Mehrere
Elternsippschaften hielten Kinder mit verbrannten Gliedmaßen. Ein kleiner Junge
war hereingebracht worden, dem Blut aus dem Auge strömte, das mit Ruß
geschwärzt war. Er wurde; eilends fortgeschafft, und sein Geschrei hallte den
Korridor hinunter.
Schließlich erschien die Ärztin wieder.
»Es ist uns gelungen, die nächste Angehörige
ausfindig zu machen. Sie können jetzt nach Hause gehen. Möchten Sie, daß ich
Ihnen ein Beruhigungsmittel gebe, damit sie besser schlafen können?«
»Nein, ich würde gern hierbleiben, wenn ich
darf.«
»Ich denke an sich nicht, daß das ratsam wäre.«
Das machte mich um so entschlossener.
»Können Sie mich davon abhalten, zu bleiben?«
»Nein, das kann ich nicht. Ich würde es nur
nicht empfehlen.« Sie musterte mich mit einigem Abscheu von oben bis unten.
Erst dann wurde mir klar, daß ich ziemlich seltsam aussehen mußte, wie ich auf
einem Plastikstuhl in diesem schmuddeligen, seelenlosen Raum saß, in meinen
Party-Klamotten, die von der hellrosa Micky-Mouse-Jacke vervollständigt wurden.
Aber ich fand nicht, daß ich einfach gehen konnte. Ich wußte, daß ich im Weg
war, aber ich konnte nicht fortgehen, bevor ich wußte, daß mit Agatha alles in
Ordnung war.
Gegen Mitternacht muß ich eingeschlafen sein.
Mit den meisten verwundeten Kindern war man inzwischen fertig geworden, und der
Warteraum war mit einer neuen Spezies von Opfern bevölkert — jungen Männern,
die zuviel getrunken hatten und schließlich in Kneipenschlägereien geraten
waren. Ein paar Penner schlichen verstohlen herein und legten sich quer über
mehrere Stühle, aber sie wurden von extrem geduldigen Hilfsschwestern
hinauskomplimentiert, die wirkten, als seien sie darin sehr geübt. Ich hatte
all die deprimierenden Sprüche an den Wänden mehrmals gelesen. Ich konnte die
Nummer des AIDS-Telefons praktisch auswendig. Der Kaffeeautomat funktionierte
nicht. Ich hatte versucht, meine Mutter anzurufen, mich aber erst nach rund
zwanzigmaligem unbeantworteten Klingeln erinnerte, daß sie und Reg inzwischen
auf Madeira sein mußten. Schließlich gab ich dem Schock und der Langeweile nach
und nickte ein.
Beim Aufwachen schreckte ich hoch. Die Uhr
zeigte neun Uhr fünfzehn, aber das hatte sie den ganzen Abend lang gezeigt. Ich
schaute auf meine Armbanduhr. Es war halb zwei. Der Warteraum war leer, und am
Rezeptionstisch war niemand. Ich hörte draußen das vertraute Dieselgeknatter
eines ausparkenden Taxis, und dann kam Agatha zum Eingang herein. Sie schien
mich nicht zu sehen, sondern marschierte direkt zur Rezeption. Ich stand auf,
noch ein bißchen schwindelig vom Dösen, und ging auf sie zu. Ich grüßte sie.
Sie drehte sich um, und ich merkte, daß ich mich geirrt hatte. Die Frau, die
vor mir stand, war beträchtlich kleiner als Agatha. Ihr Gesicht hatte fast
exakt die gleiche Form, war aber glatter und weicher und ohne jeden Ausdruck
des Wiedererkennens.
»Dorothy?« sagte ich auf gut Glück.
»Kennen wir uns?« antwortete sie in dem Ton,
dessen man sich auf einer aristokratischen Teegesellschaft bedienen würde.
»Nein, wir kennen uns nicht.« Ich hielt ihr die
Hand hin. »Ich bin Sophie Fitt. Ich arbeite bei Ag... Miss Brown.«
»Oh, waren Sie diejenige, die sie hierhergebracht
hat?«
»Ja.«
»Es tut mir leid, daß ich so lange gebraucht
habe, um herzukommen, aber ich lebe auf der anderen Seite von London.« Sie
sprach sehr langsam und vorsichtig. Ich fragte mich, ob sie immer so redete
oder ob es etwas mit der Alkoholfahne zu tun hatte, die sie nicht sehr effektiv
mit Parfüm und Mundwasser zu kaschieren versucht hatte.
Eine Krankenschwester erschien, und ich ging zu
ihr hinüber und erklärte, wer Dorothy war. Sie eilte davon und kam mit einem
Arzt zurück. Ich fragte mich, ob Schichtwechsel gewesen war. Er ignorierte mich
und nahm Dorothy mit in den Nebenraum mit den Vorhängen. Er hatte allerdings
eine sehr laute Stimme, und die Vorhänge konnten nicht verhindern, daß ich
Teile der Unterhaltung hörte.
»Fürchte... schlechte Nachrichten..., wir haben
alles versucht... zu weit
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