Mordstheater
fortgeschritten... sehr leid.«
»Oh, so ist es also.« Fünf einfache,
emotionslose Worte von Dorothy.
Ich merkte, daß ich zu zittern begann. Ich ging
zurück, um mich hinzusetzen. Die Vorhänge wurden zurückgezogen, und durch
wäßrige Augen sah ich Dorothy und den Arzt den Korridor entlang fortgehen. Sie
gaben ein ungleiches Paar ab. Er trug einen weißen Mantel und lief langsam, wie
von Sorgen niedergebeugt; ihr Mantel war beinahe knöchellang und schwarz, und
das Kläcken ihrer glänzenden schwarzen Absätze hallte unheimlich in der Stille
nach. Plötzlich drehte sie sich um, sich erinnernd, daß es mich gab, und kam zu
mir zurück.
»Anscheinend ist meine Schwester vor ungefähr
zehn Minuten gestorben. Vielen Dank, daß Sie gewartet haben. Ich fürchte, da
ist nichts mehr zu machen.«
»Wie?«
»Sie glauben, daß es eine Überdosis gewesen sein
könnte. Ich fahre jetzt mit der Polizei zur Wohnung zurück. Sie müssen sich
umsehen.«
Und damit machte sie kehrt und ging davon.
Ich weiß nicht mehr genau, wie ich nach Hause
kam. Vermutlich bin ich gelaufen. Ich kann mich erinnern, daß ich ab und zu das
Zischen von Raketen in der Luft hörte und sah, wie sich der Himmel für einen
Moment lang rot verfärbte, als sie explodierten. Aber ich weiß nicht, ob ich
diese Bilder vielleicht von zuvor in dieser Nacht dorthin verschiebe. Ich habe
keine Ahnung, wieviel Uhr es war, als ich Martin anrief. Tatsächlich konnte ich
mich, als er am nächsten Tag zurückrief, noch nicht einmal daran erinnern, eine
Nachricht auf seinem Anrufbeantworter hinterlassen zu haben. Mehrere Stunden
lang muß ich einen fast vollständigen Blackout gehabt haben, und als ich um
acht Uhr morgens vom Klingeln meines Telefons geweckt wurde, war ich sicher,
aus einem schrecklichen Alptraum zu erwachen.
»Miss Fitt?«
»Ja.«
»Es tut mir leid, wenn ich Sie geweckt habe.«
»Das macht nichts. Wer ist dran?«
»Mr. Middlemarch. Ich gehöre zum Büro des
amtlichen Leichenbeschauers. Das Royal Free hat sich an mich gewendet und mir
Ihren Namen gegeben.«
»Ja?«
»Soweit ich weiß, haben Sie Miss Brown ins
Krankenhaus gebracht, und ich fürchte, ich muß Ihnen einige Fragen für meinen
Bericht stellen.«
»Oh.« Dann war es doch kein Alptraum. Die vorige
Nacht zwang sich stufenweise in mein Bewußtsein zurück. Ich hatte keine Ahnung,
was ich seiner Erwartung nach sagen sollte. Es gab ein drückendes Schweigen.
»Könnten Sie mir eine günstige Zeit für die
Befragung nennen?«
In meinem Kopf drehte es sich. War es immer noch
Wochenende? Nein, es war Montag. In einer Stunde mußte ich bei der Arbeit sein.
Mußte ich? Meine Chefin war tot, wurde mir plötzlich klar. Ich wußte nicht, ob
ich unter diesen Umständen überhaupt noch Arbeit hatte.
»Es tut mir leid«, sagte ich, »ich bin ein
bißchen durcheinander. Heißt das, Sie wollen mir Fragen stellen?«
»Ja.« Er klang sehr geduldig. »Wann es Ihnen
paßt. Wäre Ihnen zehn Uhr recht?«
»Heute?«
»Heute morgen, ja.«
»Wo?«
»Ich könnte zu Ihnen nach Hause kommen.«
»Sehen Sie«, sagte ich, »es tut mir schrecklich
leid, aber ich verstehe wirklich nicht recht, was eigentlich los ist.«
»Kann ich einen Vorschlag machen?« sagte Mr.
Middlemarch.
»Aber sicher.« Es kam mir lächerlich vor, ein
solches Gespräch mit einem vollkommen Fremden zu führen.
»Ich rufe Sie in ein paar Minuten zurück, wenn
Sie Zeit für eine Tasse Kaffee gefunden haben.«
»Oh, danke. Gut. Wiederhören, dann.«
Ich legte den Hörer auf. Ich stand auf und ging
ins Bad. Ich erhaschte einen flüchtigen Blick auf mich im Spiegel und sah, daß
ich immer noch vollständig für die Party angezogen war. Aus irgendeinem
seltsamen Grund fühlte ich mich schuldig, weil ich meine Gastgeber nicht
angerufen hatte, um ihnen zu sagen, daß ich nicht kommen konnte. Ich wollte
schon den Hörer abnehmen, als mir einfiel, daß Paul und Jennifer schon zu ihrer
Arbeit in der City losgezogen sein würden. Ich ging zurück ins Bad und spritzte
mir Wasser ins Gesicht. Das ließ das Make-up der letzten Nacht noch schlimmer
aussehen, aber ich fühlte mich ein bißchen besser. Das Telefon klingelte
wieder. Ich spielte mit der Idee, nicht dranzugehen. Ich wollte mich eigentlich
nicht noch einmal mit Mr. Middlemarch befassen müssen, aber er hatte ziemlich
bestimmt geklungen, wenn auch höflich, und ich fühlte mich verpflichtet,
abzunehmen.
»Das war aber eine kurze Tasse Kaffee!« sagte
ich so fröhlich wie ich
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