Mordstheater
weitergelebt hätten, wären wir vermutlich zurück in
ihr Haus gezogen, als mein Vater uns verließ, da die Wohnung in der Nähe der Portobello
Road gemietet war. Sowie es war, stand das Haus leer, als wir einzogen, als ob
es auf uns gewartet hätte. Es dauerte Ewigkeiten, bis meine Mutter den Mut
aufbrachte, zu renovieren, aber als sie es endlich tat, war das auf der Höhe
der Laura-Ashley-Manie, und sie gestaltete das Haus sehr hübsch, auf eine
feminine Art, mit viel Pink und Gelb und einer rustikalen Küche, die sie mit
einem massiven schwedischen Herd ergänzte, den ich in einem Haus, das im Grunde
genommen eine Vorstadtvilla aus den dreißiger Jahren ist, immer unpassend fand.
Reg ist ein fester Bestandteil im Leben meiner
Mutter, und sie machen alles zusammen, aber genaugenommen ist er nie bei ihr
eingezogen. Er hat ein eigenes Haus in Hatch End, auch wenn er wohl nicht viel
Zeit dort verbringt. Ich glaube, meine Mutter hat immer Angst davor gehabt, ihr
Leben vollständig mit einem anderen Mann zu teilen, und das ist ihr
Sicherheitsventil. Sie lernte ihn kennen, als sie noch verheiratet war, weil er
der Gutachter war, der das Haus für die Testamentsbestätigung schätzte, als
ihre Eltern gestorben waren. Sie sagt immer, daß sie zu dieser Zeit so
durcheinander war, daß sie ihn gar nicht wahrnahm, aber er verliebte sich
offenbar auf den ersten Blick, und sobald wir zurück nach Pinner gezogen waren,
begann er, ihr den Hof zu machen. Weil sie so hübsch ist, ist meine Mutter
daran gewöhnt, daß Dinge für sie erledigt werden, und weil Reg seine Dienste
freiwillig anbot, wurde er ziemlich rücksichtslos als Gartenumgräber und
allgemeines Faktotum benutzt. Ich glaube, es ist meiner Mutter jahrelang nicht
aufgegangen, daß er an ihr interessiert war, oder vielleicht doch, und sie ist
gar nicht so harmlos, wie sie immer tut (ein Lieblingsausdruck von Reg).
Ich glaube, Reg wäre nichts lieber gewesen, als
meine Mutter zu heiraten und Kinder zu haben. Aber meine Mutter hat sich immer
gesträubt. Nachdem sie das Trauma einer zerbrochenen Ehe überlebt hatte und
etwa zur gleichen Zeit zur Waise wurde, schaffte sie es, ihr Leben genauso zu
organisieren, wie sie es wollte, und sie wollte nichts oder niemanden, der noch
einmal ihre Sicherheit beeinträchtigt. Zum Glück für mich blieb Reg sowieso da.
Er war immer die liebenswürdigste Stiefvaterfigur, die man sich nur denken
kann, und auch wenn unser Geschmack und unsere politische Meinung sehr
verschieden sind, kommen wir im allgemeinen gut miteinander aus.
Ich klingelte an der Tür und erschauderte.
Weihnachten vor ein paar Jahren hatte Reg meiner Mutter eine Klingel gekauft,
die neunundneunzig verschiedene Melodien spielen konnte. Sie hatten sie heute
darauf programmiert, die ersten sieben Noten von »Una Paloma Bianca« ertönen zu
lassen. Mutter öffnete die Tür, umarmte mich fest und gab mir einen Kuß.
»Müßt ihr dieses scheußliche Lied draufhaben?«
sagte ich.
»Na ja, es soll uns bei Urlaubslaune halten.«
»Aber ist das nicht ein spanisches Lied? Madeira
ist doch portugiesisch, oder?«
»Oh, ich weiß es nicht«, sagte sie. »Sie haben
es die ganze Zeit in dem Nachtclub im Hotel gespielt, stimmt’s, Reg? Jedenfalls«
— sie senkte die Stimme — »ist es besser als die Weihnachtslieder, die er einstellen wollte.«
»Aber es ist erst Mitte November!« sagte ich.
»Eben. Also beschwer’ dich nicht«, sagte sie und
zwinkerte mir zu.
Ihr langes, welliges Haar war sogar noch blonder
als gewöhnlich, mit natürlichen Aufhellungen von der Sonne. Anders als die
meisten Frauen ihres Alters bräunt sich meine Mutter nicht gern, und deshalb
ist ihre Haut auch nicht sehr gealtert, aber sie hatte es doch geschafft, einen
lichtgoldenen Teint anzunehmen, der ihre Augen blauer denn je erscheinen ließ.
Sie trug ein einfaches, marineblaues Leinenkleid, offenbar ein neuer und teurer
Kauf, und recht unpassend für einen kalten Novemberabend, aber sie sah
entzückend darin aus. Ich betrachtete meine eigenen schwarzen Jeans und den
weiten Pullover mit dem Zopfmuster und wünschte, ich hätte mir etwas mehr Mühe
gegeben. Reg war in der Küche, trug eine Plastikschürze mit dem Martini-Logo
drauf und rührte eine Suppe um, die auf dem schwedischen Herd stand. Er bot mir
ein Glas Madeira mit Eis an und behauptete, es sei in Mode, ihn so zu trinken,
und wir setzten uns fast umgehend zum Essen hin.
Sie waren sehr erpicht darauf, mir bis ins
letzte Detail von ihrem
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