Mordstheater
»inwiefern ich helfen kann.«
»Indem Sie genau das tun, was Sie sowieso tun.«
»Und was ist das?«
»Die ganze Sache am Laufen halten. Verstehen
Sie, nur bis ich mich wieder reingefunden habe. Ich meine, sie würde gewollt
haben, daß ich weitermache... glauben Sie nicht? Ich habe sehr viel darüber
nachgedacht. Ich habe es noch nicht einmal Jack richtig erzählt. Ich kann das
nicht, bis ich alles organisiert habe. Tony hat natürlich versucht, mich davon
abzubringen. Vermutlich liegt es auch daran, daß ich ihm zeigen möchte, daß ich
es kann. Ich habe seit Jahren nicht gearbeitet, aber... Er hat versucht, mich
auszuzahlen. Das ist alles gut und schön, wenn er bloß nicht so scheußlich zu
mir gewesen wäre und eben Agatha geholfen hätte, mich hinauszudrängen... Ich
habe das nicht vergessen, wissen Sie... Ich weiß, ich habe eigentlich kein
Anrecht auf das Ganze, aber er wäre der erste, der mich aus allem rausdrängen
würde, wenn er nur die kleinste Chance hätte... Jedenfalls, verstehen Sie, bin
ich ein bißchen aus der Übung, was dieses Geschäft angeht, und ich werde ein
wenig Hilfe benötigen. Agatha sagte mir, Sie seien sehr clever —«
»Aber ich bin gestern von Anthony gefeuert
worden, oder vielleicht ist gefeuert nicht das richtige Wort. Wie heißt das
noch so schön? Man hat sich von mir getrennt. Das klingt immer so viel
menschlicher. Man hat sich von mir...«
Sie schaute mich überrascht an. Dann goß sie
sich noch ein Glas ein. Fünf Austern lagen unberührt auf ihrem Teller.
»Typisch. Dieses Schwein. Er war mir immer einen
Schritt voraus«, sagte sie und ließ die höfliche Fassade fallen, als ihr
dämmerte, was ich gerade gesagt hatte. »Ich vermute, er geht davon aus, daß ich
es ohne Ihre Hilfe nicht schaffen werde. Aber er hat vergessen«, fuhr sie fort,
ihre Fassung zurückgewinnend, »daß jetzt ich die Leitung übernommen habe, und
ich stelle Sie wieder ein.«
»Wie dem auch sei«, sagte ich schroff, »ich bin
nicht vollkommen sicher, daß ich den Job will.«
Eine Sekunde lang sah sie sehr verärgert aus.
»Agatha sagte, Sie seien scharfsinnig«, sagte
sie. »Ich werde Ihnen selbstverständlich mehr Geld anbieten.«
»Ich bin immer noch nicht sicher«, konterte ich
und hielt ihrem Blick stand. Sie schien ganz die Arroganz ihrer Schwester zu
haben, aber nichts von deren Charme.
Unser Patt wurde vom Kellner unterbrochen, der
nachfragte, ob wir unseren ersten Gang beendet hätten. Dorothy sagte ja, und
bestellte noch eine Flasche.
»Es gibt eine Sache, die mir Kopfzerbrechen
macht«, sagte ich auf gut Glück. »Verzeihen Sie mir, daß ich frage, aber meinen
Informationen nach hatten Sie und Agatha sich entzweit. Ich hatte gedacht, Sie
hätten bis letzten Mittwoch jahrelang nicht miteinander gesprochen.«
»Aber das hatten wir ja auch nicht... Das ist es
natürlich, was jetzt so entsetzlich für mich ist. Ich denke ständig, wäre ich
bloß nicht zu ihr gegangen, dann wäre nichts von alldem passiert. Ich gebe mir
die Schuld. Ich gebe mir die Schuld. Ich weiß, es ist dumm, aber so ist es,
sehen Sie...« Die sorgfältig aufgebaute Fassung geriet ins Wanken. Sie sagte
nichts mehr und trank noch ein Glas Wein. Ich hatte meinen kaum angerührt.
»Zu ihr gegangen?« wiederholte ich.
»Sehen Sie, ich wollte nicht. Oder eher, ich
hätte nicht gehen sollen... Es erscheint jetzt alles so trivial. Sie wissen,
wie leicht die Dinge aus dem Verhältnis geraten in Familien?« Sie schaute mich
auf Unterstützung wartend an. »Oder vielleicht wissen Sie das nicht. Ich
schätze, Sie haben eine nette, normale Familie...«
Ich nickte nur.
»Nun, unsere, wenn man es eine Familie nennen
kann, war natürlich ausgesprochen tolstojesk in ihrem Unglück. Gut, wenn es
nicht wie bei Tolstoj war, dann sicherlich wie bei Tschechow... Ja, das kommt
dem näher. Agatha hätte das bestätigt«, sinnierte sie und lächelte vor sich
hin. »Was wäre geschehen, wenn es zwei Schwestern gewesen wären statt dreien?
Wir spielten immer dieses Spiel miteinander, wissen Sie —«
»Das Was-wäre-wenn-Spiel?«
»Ja. Hat Sie Ihnen davon erzählt? Sie sagte mir,
sie hätte eine Seelenverwandte in ihrer Aushilfe gefunden. Deswegen dachte ich...
Ich dachte, ich könnte Ihnen vertrauen, verstehen Sie.« Ihre Sprache wurde
immer verwaschener. Ich hatte fast das Gefühl, ihre Trunkenheit auszunützen,
als ich sie ermutigte, fortzufahren.
»Also, Sie gingen zu ihr...«
»Nun, sehen Sie, letzte Woche... Nein, es
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