Mordsucht
falls ihr mir nicht glaubt.«
Ich glaubte ihm. Jedes einzelne Wort. Es ergab einen Sinn.
Hans, der unscheinbare Typ von nebenan, stolpert über magischen Kannibalismus. Er informiert sich, wälzt Bücher und beginnt mit seinen Versuchen. Er hofft ein besserer Mensch zu werden, klüger, schöner, damit die Gesellschaft ihn aufnimmt. Es klappt nicht und er steigert sich immer weiter hinein, versucht es ständig aufs Neue und landet in einem Strudel aus Wahn und dem Wunsch nach absoluter Perfektion.
Ich konnte mich einerseits in ihn hineinversetzen, andererseits stützte ich meine These auf die Einträge im Forum.
»Mein Vater hielt mich für einen Versager, alle taten das.« Hans' Augen röteten sich. »Ich gehörte nie dazu, nicht in der Schule, nicht in der Disco, nirgends. Ich musste doch mein Leben in den Griff bekommen!«
Sein Motiv, grausam und abartig, war eine Folge aus vielen unglücklichen Umständen. Oft kam die Frage auf, ob man als Mörder geboren wurde. Meiner Ansicht nach nicht. Die Umgebung, die Erziehung und unser Umfeld ließen uns zu dem werden, was wir waren. Wer konnte sagen, was aus Hans geworden wäre, wenn er bei einer Familie aufgewachsen wäre, die ihn bedingungslos geliebt hätte? Ein Staranwalt? Schauspieler? Oder trotzdem ein Serienkiller?
Letztlich zählte all das nicht. Wir hatten ihn, die Mordserie war vorbei. Ob ich Mitleid für ihn empfand, stand nicht zur Debatte. Sicherlich tat mir leid, dass ihm das Leben so übel mitgespielt hatte, aber er war ein Mörder und dafür musste er bestraft werden.
Kalle wollte wieder loslegen, als ich ihm das Wort abschnitt.
»Und was ist mit dir, Kalle? Was war dein Motiv?«
Er sah mich skeptisch an. Ich glaube, er dachte bis zu diesem Moment nicht einmal daran, dass wir sein stinkendes Geheimnis entdeckt haben könnten.
»Was meinst du, Tomas? Um mich geht's doch gar nicht.« An seinen unruhig hin- und herzuckenden Augen konnte ich erkennen, dass er ahnte, was jetzt kam.
»Die Prostituierte in deinem Keller«, sagte ich ohne Gefühlsregung. »Was war mit ihr? Was konnte sie dir geben?«
Kalles Augen verengten sich. »Sie war nur Mittel zum Zweck. Ich hab nie aufgehört, nach dem da zu suchen.« Er deutete verächtlich auf Hans.
Gerd Baack vom BKA hatte recht, als er mir mitteilte, dass der Fall Kalle keine Ruhe ließ …
»Ich hab mir die Nächte um die Ohren geschlagen«, fuhr er fort. »Sechs Jahre lang trat ich auf der Stelle, bis ich auf das Forum stieß. Ihr habt es wahrscheinlich auch gefunden, wenn ihr in meinem Haus wart.« Er sah mich vorwurfsvoll an, obwohl er nicht in der Position dazu war, wenn man bedachte, was er getan hatte. »Ich hab versucht, ihn zu einem Treffen zu bewegen, mit dem Accountnamen Kissme78 , er hat nicht reagiert. Ich erstellte einen Neuen und ahnte, dass er nicht ohne Beweis und der Aussicht auf die Lösung des Rätsels einer Verabredung zustimmen würde. Deshalb musste ich die Frau töten, damit Hans mir glaubte. Das verstehst du doch, Tomas. Oder? Ich musste! Sonst hätten wir ihn nie geschnappt.«
Und wie ich verstand. Er wurde zum Mörder, um einen anderen zu schnappen. Mir stellte sich allmählich die Frage, wer von den beiden verrückter war.
»Alles geplant? Du hast gelogen? Ich bekomme nicht den Schlüssel zur Essenz?«, polterte Hans los. Er drehte den Kopf zu Kalle.
»Nein! Den wirst du nie bekommen!«, schrie Kalle und dann geschah alles viel zu schnell, als dass ich es hätte verhindern können.
In Hans' Augen sah ich Verzweiflung und Hass. Sein Plan, das, wonach er seit Jahren suchte, löste sich in Nichts auf. Er wandte sich zu Kalle um, wollte die Waffe auf ihn richten, ließ sich aber plötzlich fallen.
Kalle betätigte den Abzug. Er wollte Hans erschießen, verlor aber sein Ziel, als dieser zu Boden ging. Der Knall war ohrenbetäubend.
Ein weiterer Schuss ließ Kalles erschrockenes Gesicht zerplatzen. Blut spritzte, Fleischbrocken und Knochen flogen in die Luft, bevor er zusammenbrach.
Wer hatte geschossen? Ich sah Hans, wie er die Pistole auf den leblosen Körper von Kalle richtete, bevor er sie sich an die rechte Schläfe hielt und abdrückte. Blut, Knochensplitter und Gehirnmatsch klatschten gegen die weißen Fliesen und rutschten zäh an ihnen herunter.
Ich stand mit offenem Mund da, begriff nicht, was um mich herum geschah. In meinen Ohren rauschte es. Ich starrte auf die zwei Toten am Boden. Gott im Himmel! Verflucht noch mal! Wie hatte mir die Situation derart entgleiten
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