Mordswald - Hamburgkrimi
hatten.
"Herr Birkner ist tot."
Langsam, wie in Zeitlupe, legte Katja Ansmann eine Hand vor
den Mund.
"Es war kein Unfall. Wir können noch nicht mit
Sicherheit sagen, wie er ums Leben kam, aber sein Leichnam wurde heute Morgen
im Niendorfer Gehege gefunden."
"Wo?"
"Im Niendorfer Gehege. Sie wissen schon, das kleine Waldstück
im Norden Hamburgs."
Frau Ansmann machte Anstalten, den Kopf zu schütteln, nein,
unmöglich, in so einer Gegend hatte Philip nichts zu suchen, er war bestimmt
nie dort gewesen. Leute wie sie gingen an der Alster spazieren oder joggen,
aber doch nicht da .
Sie sprach es nicht aus, und sie schüttelte auch nicht den Kopf, aber Lina
ahnte ihre Gedanken, zumindest den wichtigsten, alles beherrschenden: Es kann
nicht sein, dass Philip tot ist. Die Frau hatte die Augen geschlossen und
wiegte das Kind in ihrem Arm, das jetzt tatsächlich eingeschlafen war und
dessen erhitztes Gesicht im Licht der Morgensonne leicht glänzte. In der
Wohnung war es still, aber irgendwo im Haus rauschte eine Wasserleitung, und im
Treppenhaus schlug eine Tür zu. Im Zimmer roch es nach Kind und Schlaf, nach
altem Blumenwasser und den Resten eines Parfums, das an der Frau haftete wie
der Geruch von Bratfett an Küchengardinen.
"Wie ist er … ich meine, warum … wer …" Sie schien
selbst zu spüren, dass weder Lina noch Max ihr Antworten geben konnten.
"Gibt es jemanden, den Sie anrufen können? Oder möchten
Sie, dass wir einen Seelsorger kommen lassen?"
"Ich … nein, nein, nicht nötig, ich komme schon
zurecht." Mehr sagte sie nicht. Ihre Stimme klang abwesend, als sei sie
mit den Gedanken weit weg.
"Frau Ansmann, wir müssen Ihnen leider ein paar Fragen
stellen", sagte Max behutsam. Er hatte eine angenehme Stimme, die auf die
meisten Menschen beruhigend wirkte. "Wissen Sie, wo Ihr Lebensgefährte
gestern Abend war?"
Die Frau nickte. "Bei einem Konzert."
"Wo?"
"Ich habe den Namen vergessen, irgendwas furchtbar
Altmodisches, obwohl es wohl ganz nett sein soll … irgendwo in …" Sie
stockte. "In Niendorf."
Max Berg verzog keine Miene. "Ist er allein dorthin
gegangen?"
"Ja."
"Und Sie sind wegen des Kindes zu Hause geblieben?"
"Nein. Ich war bei einem Vortrag der Industrie- und
Handelskammer. Ich bin Unternehmensberaterin und habe dort einige Kunden
getroffen. Friedericke Moosig, ein Mädchen aus der Nachbarschaft, hat auf Leon
aufgepasst."
"Wann waren Sie wieder zu Hause?"
"Etwa um halb eins."
"Warum haben Sie den Abend nicht gemeinsam verbracht?
Haben Sie sich gestritten?" Max sah Katja Ansmann aufmerksam an.
"Nein. Wir haben öfter etwas getrennt unternommen.
Unsere Interessen sind … waren sehr unterschiedlich."
"Was hat Herr Birkner beruflich gemacht?"
"Er ist … war Softwareentwickler." Sie nannte ihnen
den Namen der Firma und eine Adresse in der City, die Lina sich notierte.
"Leben seine Eltern noch?", fragte Max.
Die Frau nickte, stand auf und ging ins Nebenzimmer, um ihr
Smartphone zu holen. Lina und Max wechselten einen Blick. Die Adresse des
Arbeitgebers kannte sie auswendig, die der Eltern ihres Lebensgefährten musste
sie nachschlagen?
Lina sah sich im großen, luxuriös leeren Raum um. Designermöbel,
Musikanlage von B&O, gepflegter Parkettfußboden. Ein großes Fenster,
daneben eine zweiflügelige Balkontür, davor eine alte Kastanie, die das Zimmer
in grünes Licht tauchte.
Katja Ansmann kehrte zurück, der Junge auf ihrem Arm war
aufgewacht und begann zu quengeln. "Leon Hunger." Seine Mutter redete
mit leisen Worten auf ihn ein und schaukelte ihn beruhigend. Der Junge steckte
den Daumen in den Mund und musterte die beiden Besucher aus schlafkleinen
Augen. Katja Ansmann nannte ihnen die Adresse von Philip Birkners Eltern. Dann
lehnte sie sich auf dem Sofa zurück und schloss einen Moment lang die Augen.
"Frau Ansmann, wissen Sie, ob Herr Birkner irgendwelche
Feinde hatte?"
"Feinde? Philip?" Sie öffnete die Augen wieder, der
Blick einen Moment lang verwirrt. Dann lachte sie, tatsächlich, sie lachte.
"Philip kommt mit allen Menschen hervorragend aus, sieht gut aus, lacht
gerne. Er schafft es im Handumdrehen, eine ganze Runde wildfremder Menschen für
sich einzunehmen. Nein, ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand einen Groll
gegen ihn hegt. Obwohl …" Sie zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen.
"Frank Jensen. Ein ehemaliger Angestellter von Philip." Lina meinte,
sie leicht erröten zu sehen. "Philip hatte bis vor zwei Jahren ein eigenes
Softwareunternehmen. Er
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