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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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wurde der Major ziemlich ruppig. Er könne einen einmal verliehenen Orden nicht einfach aus einer Laune des Dekorierten heraus wieder zurücknehmen. Er fragte nach Gründen. Gottschalk sagte, er habe die Auszeichnung nicht verdient und lehne sie zudem aus prinzipiellen Gründen ab. Maercker ließ Gottschalk mit dem Hinweis, der Oberveterinär habe so etwas Renitentes, abtreten. Gottschalk dachte an Wenstrup. Dem hatte man auch Renitenz nachgesagt. Er nahm sich vor, alles nochmals zu überschlafen und gründlich zu überlegen.
    Am nächsten Abend stellte er, vom Dienst kommend, den Docht der Petroleumlampe hoch und schrieb ein Gesuch an das Kommando der Schutztruppe, die Verleihung des Militärehrenzeichens 2. Klasse wieder rückgängig zu machen.
    In Windhuk hielt sich niemand für zuständig. War eine einmal entgegengenommene Dekoration überhaupt rückgängig zu machen? Gottschalk, der Orden und Urkunde schließlich an das Oberkommando der Schutztruppe nach Berlin zurückschickte, erhielt beides vier Monate später per Einschreiben zurück, mit einem vorgedruckten Formular: Beschwerden betreffs Dekoration etc. pp. sind beim Bataillonskommandeur einzureichen.
    Da gab Gottschalk auf.

    Für die erbeutete Viehherde, die nach Keetmannshoop getrieben wurde, gab es weder genügend Wasser noch Futter. Die wenigen Wasserstellen wurden von den ersten hundert Tieren leer gesoffen. Die anderen liefen durstig und brüllend herum. Major von Kamptz trieb zur Eile. Er wollte möglichst schnell aus dem unübersichtlichen Karrasgebirge heraus. Gottschalk gab zu bedenken, daß dadurch die Siegesbeute von Oberst Deimling gefährdet würde. Bei dem Tempo, das die Abteilung vorlege, würde nicht einmal die Hälfte der Tiere lebend Keetmannshoop erreichen. Kamptz, der mit Deimling eine persönliche Fehde hatte (Deimling hatte ihn einmal vor dem gesamten Stab zusammengestaucht: Ihre Abteilung hängt mal wieder hinterher, verdammt, ziehen Sie sie endlich vor, oder verstehen Sie einfach nicht, usw.), Kamptz sagte nur: Dann verrecken die Viecher eben. Ein toter Ochse ist mir immer noch lieber als ein toter Reiter.
    Neben der Herde reitend, der Horizont war erfüllt von Brüllen, Meckern, Blöken und Muhen, kam Gottschalk sich vor wie ein Cowboy und manchmal wie ein Viehdieb. Mehrmals ertappte er sich beim Pfeifen, einmal sogar beim Singen. Was ihn dann jedesmal sogleich verstummen ließ, war die Erinnerung an das Gefecht und, wie ein Stachel: der Gedanke, daß er einen Moment den irrwitzigen Wunsch gehabt hatte, zum Feind überzugehen. Jetzt hielt er das für Phantastereien eines überhitzten Gemüts. Aber damit verlor diese Erinnerung nichts von ihrer Irritation.
    Zwischen dem, was er tat, und dem, was er dachte, war ein Riß. Zuweilen hatte er das Gefühl, als sei der, der da ritt, die Sporen gab, Befehle erteilte, Treiber kontrollierte, ein anderer als der, der alles betrachtete und überdachte. Was ihn beruhigte, was die beiden Teile seines Selbst verband, war der Gedanke, daß ihm momentan nichts anderes zu tun übrigblieb als dieses: seine Pflicht. Aber dann dachte er wieder daran, daß er mithalf, den Kreislauf von Gewalt und Terror fortzusetzen. Denn die Hottentotten lebten von dem Fleisch und der Milch dieser Tiere, und sie würden um so verzweifelter kämpfen.
    Tatsächlich wurde die Abteilung mehrmals von kleineren Gruppen der Aufständischen angegriffen. Es gab Tote und Verwundete, und Stabsarzt Otto mußte wieder seine Witze erzählen.
    Zuweilen unterhielten sich, nebeneinander reitend, Tresckow und Gottschalk. Tresckow sagte, er habe sich das alles anders vorgestellt, den Krieg hier unten. Er dachte, man verteidige das Vaterland, aber genaugenommen seien es die Hottentotten, die ihr Vaterland verteidigten. Zuweilen frage er sich, was er hier überhaupt zu suchen habe. Was ist das für ein Feldzug, in dem man versucht, dem Gegner die Ochsen abzujagen, auf Frauen und Kinder schießt und ihnen die Hütten anzündet.

    Nachdem die Kolonne das Gebirge verlassen hatte und durch ein nur leicht hügeliges Gelände marschierte, fand Gottschalk wieder die Muße, über die Konstruktion eines Gebisses für Kühe nachzudenken. In seinem Tagebuch findet sich in dieser Zeit nichts, was als Hinweis auf Fahnenflucht gedeutet werden könnte, dafür um so mehr Zeichnungen verschiedener Klammervorrichtungen, die den Zahnersatz möglichst fest und schmerzlos am Kiefer der Kuh befestigen sollten.
    Abends, wenn die Truppe ihr Biwak bezogen hatte,

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