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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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Herr Rittmeister, sagte Gottschalk, ›Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung‹.
    Spannend, fragte Tresckow, mit vielen Mesalliancen und kräftigen Kabalen?
    Nein, sagte Gottschalk, eher schon das Gegenteil und dennoch interessant.
    Tresckow bat Gottschalk, ihm, wenn er erst mal die Beine wieder hochlegen könne, das Buch zu leihen.
    Man kann nicht sagen, daß die Lektüre des Kropotkin eine Offenbarung für Gottschalk gewesen wäre. Seine Neugierde und Anteilnahme an diesem Buch erwuchs vielmehr daraus, daß er oftmals wiedererkannte, was er selbst schon einmal spontan und meist nur verschwommen gedacht hatte: Hilfsbereitschaft, Solidarität und Freundlichkeit auch in der Tierwelt. Kropotkin hatte seine Theorie mit zahlreichen Beispielen aus der Zoologie und der menschlichen Gesellschaft belegt. Dennoch waren die Erkenntnisse des Buches nicht so gewaltig, daß Gottschalk es ein zweites Mal gelesen hätte. Sein anhaltendes Interesse richtete sich vielmehr darauf, wie sein Vorgänger das Buch gelesen hatte, also auf Wenstrups Randbemerkungen und dessen verschiedenfarbige Unterstreichungen von Textstellen. Gottschalk versuchte, die jeweilige Bedeutung der Farben zu entschlüsseln. So blieb er, immer wieder in dem Buch blätternd, Wenstrup auf der Spur.

    Eine von Wenstrup rot unterstrichene Stelle in Kropotkins ›Gegenseitige Hilfe in der Entwicklung‹
    Eine ihrer größten Freuden finden die Hottentotten sicher in ihren gegenseitigen Geschenken und Gefälligkeiten. Die Redlichkeit der Hottentotten, ihre pünktliche und schnelle Justiz und ihre Keuschheit, in diesen Dingen übertreffen sie alle oder die meisten Völker der Erde.

    Was Zeisse, immerhin gelernter Grob- und Hufschmied, dennoch erstaunte, war die unerhörte Härte des Kruppstahls. Nach vielen Stunden intensiver Sägearbeit war die Kerbe in dem Geschützrohr noch immer nicht einmal einen halben Zentimeter tief.
    Eines Abends erzählte Zeisse, während er an seinem Sattelzeug herumpütscherte (als einziger in der ganzen Südabteilung fettete er das Leder regelmäßig ein), Gottschalk von der Steinwalze. Zeisses Vater war Knecht auf einem Hof in dem Heidedorf Heber. Der Bauer hieß König. Auf dem Hofplatz stand die Walze, riesig, aus einem Findling gemeißelt und in der Mitte durchbohrt, wo die Achse, ein Baumstamm, durchgeschoben wurde. Hin und wieder wurde die Walze noch benutzt, wenn Rasen gesät wurde. Nur zwei mächtige Ackergäule konnten diese Steinwalze vom Fleck bringen. Sie war von den Straßenarbeitern Napoleons beim überstürzten Rückzug stehengelassen worden. Der Bauer, aber auch der Vater drohten dem kleinen Zeisse, daß er unter diese Walze komme, wenn er nicht gehorche. Als Kind mochte er nie auf dem Hof spielen. Erst als er dreizehn Jahre alt wurde, war er so groß wie diese Steinwalze. Kurz darauf kam er nach Bardowick zum Schmied in die Lehre. Da ist er dann auch zum erstenmal auf die Walze gestiegen.
    Zeisse hatte beim Sägen an dem Geschützrohr immer daran denken müssen, wie diese Walze aus einem gewaltigen Findling gemeißelt worden ist.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 30. 3. 05
    Man wird unsere Tätigkeit in diesem Land noch nach Jahren verfolgen können: Die Skelette der krepierten Tiere am Wege und die Gräber der Gefallenen sind die Meilensteine.

Landeskunde 3
    Der Theodolit
    oder: Vom Nutzen der Ölsardine

    Am Anfang war der Knall eines Sektpfropfens.
    Unter den Linden in Berlin, in einem Notariat, am 5. 4. 1885 gegen 5 Uhr nachmittags, öffnete der Kanzleidiener eine Flasche Kupferberg, nachdem die anwesenden Herren unter Aufsicht des Notars den Vertrag unterzeichnet hatten. Die Gründung der Deutschen Kolonialgesellschaft für Südwestafrika war damit perfekt. Die Herren, die dann auf eine erfolgreiche und glückliche Zukunft der Gesellschaft tranken, waren Kommerzienrat Hansemann, Bankier und Kommerzienrat Bleichröder, der Herzog von Ujest, der Graf Henckel von Donnersmarck, die Direktoren der Discontgesellschaft, der Deutschen Bank, der Bank Delbrück, Leo & Co. der Dresdner Bank, des Bankhauses Sal. Oppenheim jun. & Co. sowie der Privatier v. Zu. der zwar kein Kapital in die neugegründete Gesellschaft hatte einbringen können, dafür aber die herzlichsten Beziehungen zum Reichskanzler.
    In einem Toast sprach Kommerzienrat Bleichröder aus, was vermutlich alle Anwesenden in diesem Augenblick bewegte, daß man mit dieser Gründung endlich auch auf dem ökonomischen Sektor der patriotischen Pflicht nachgekommen

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