Morenga
Fuchswallach hatte herausfangen lassen, von dem er behauptete, auf dem sei der gefallene Major von Nollendorf geritten. Tresckow schlug Gottschalk kameradschaftlich auf die Schulter und sagte, bis später, er müsse gleich wieder nach vorn. Trotz der allgemeinen Hektik und der Kürze war Gottschalk aufgefallen, daß an Tresckow etwas fehlte: die Reitgerte.
Tatsächlich hatte Tresckow während eines Patrouillengefechts vor drei Wochen die handgeflochtene Ledergerte mit dem Feuerzeug im Griff verloren. Genau: Er hatte sie weggeworfen, nachdem ihm sein Pferd unter dem Hintern weggeschossen worden war und die Gerte ihn beim Laufen hinderte. Er lief, was er sich früher nie hatte vorstellen können, vor dem Gegner weg, wie ein Hase Haken schlagend. Er hatte deswegen keine Skrupel – was er früher ebenfalls für undenkbar gehalten hätte. In diesem Hottentottenkrieg stand alles kopf, alte, ehrwürdige Regeln, gültige, tradierte Konventionen, die guten Sitten, sogar der preußische Ehrenkodex wurden hier außer Kraft gesetzt. Dieser Krieg war, im Gegensatz zu jedem denkbaren in Europa, ein Aufstand gegen alle tradierten Werte. Und Tresckow hatte dann auch, als er abgerissen und erschöpft sich zur Truppe durchgeschlagen hatte, gesagt: Warum soll man sich von diesem braunen Gesindel totschießen lassen, nur um der Ehre willen, auf die diese Kerls doch nur spucken.
Allerdings wurmte ihn der Gedanke, daß sich jetzt irgendein Hottentottenlümmel mit seinem goldenen Feuerzeug bequem die Pfeife anzündete, während er, wollte er sich eine Rose von Hildesheim mit dem berühmten Sumatra-Decker und der Java-Einlage anstecken, in den Taschen nach einem Feuerzeug kramen mußte.
Gottschalk ließ sich aus den ängstlich im Kraal hin und her drängenden Pferden einen Schimmel herausfangen, der, kräftig und gut gebaut, ein Brandzeichen trug, das Gottschalk bisher noch nicht gesehen hatte: ein Schwert. Das Pferd trug noch einen deutschen Armeesattel und gehörte dem Leutnant Schmidt, der bei Alurisfontein gefallen war. In den Satteltaschen fanden sich zwei Platten Tabak, eine Stummelpfeife und ein Stück Seife.
Was macht ein Hottentotte mit Seife, fragte der Sergeant, der den Sattel untersuchte. Das Pferd muß sich bei den Aufständischen losgerissen haben. Es lief zwischen den Fronten hin und her, bis wir es eingefangen haben.
Der kummervolle Deimling hätte dieses Pferd sogleich für sich reklamiert, wenn er gewußt hätte, daß noch vor wenigen Stunden Morenga darauf gesessen hatte. Deimling grübelte sogar während der Befehlsausgabe darüber, ob er sofort um seinen Urlaub einkommen sollte, immerhin hatte er sich bei einem Sturz vom Pferd den linken Arm verstaucht. Oder sollte er warten, was der Generalstab in Berlin zu dieser Operation sagte? Vielleicht würde Morenga aber auch noch der Abteilung Kirchner vor die Geschütze laufen. Obwohl es andererseits doch sehr verwunderlich, ja sogar beunruhigend war, daß von Kirchner absolut nichts zu sehen war. Der mußte doch – noch dazu als Artillerieoffizier – die alte militärische Faustregel kennen, wo Kanonendonner zu hören ist, dahin muß man marschieren. Wäre Kirchner rechtzeitig zur Stelle gewesen, hätte man Morenga einkreisen und vernichten können. Diese, wie Deimling glaubte, so überaus kühne Operation wäre ein großer militärischer Erfolg geworden. Nicht auszudenken aber, wenn Kirchner in einen Hinterhalt geraten war. Deimling entschloß sich, wenn er erst einmal heil Keetmannshoop erreicht haben würde, doch gleich um seinen Urlaub einzukommen. Er befahl, die Verfolgung Morengas abzubrechen. Kein Zweifel, die Aufständischen hatten sich wieder einmal in diesem riesigen Land unauffindbar verkrümelt. Deimling, von seinem Stabe umgeben, sah einen Oberveterinär sich auf einen Schimmel schwingen und in Richtung der Schlucht, wo sich das Vieh der Hottentotten drängte, weggaloppieren. Ein besonders schönes Tier, dieser Schimmel, sagte Deimling. Es ist lächerlich, dachte Deimling, so viele Mühen, Kosten und Energie – und als Ergebnis treibt man eine Herde Rindviecher und Schafe weg. Deimling glaubte so zu fühlen wie Napoleon im brennenden Moskau.
Gottschalk taufte den Schimmel, der nervös an der Kandare kaute, Wolkenohr.
Oberarzt Haring hatte sich freiwillig zur Abteilung Erckert gemeldet, die nach Norden marschieren und die Abteilung Kirchner suchen sollte. Haring hatte seit der Abfahrt aus Deutschland mit einer unermüdlichen Besessenheit allabendlich
Weitere Kostenlose Bücher