Morenga
setzte sich Gottschalk auf seinen Sattel, aß von dem gegrillten Fleisch, das es jetzt reichlich gab, und erzählte Zeisse von seiner Gebißkonstruktion. Es sei doch nicht einzusehen, daß gesunde Kühe, die reichlich Milch gäben, lediglich aufgrund eines ausgebrochenen Zahns notgeschlachtet werden müßten. Er sage das, obwohl augenblicklich aufgrund dieses irrwitzigen Tempos mehr Kühe an Entkräftung krepierten als in zehn Jahren an ausgebrochenen Zähnen.
Zeisse gab zu bedenken, daß Eisen leicht roste, insbesondere im Maul einer Kuh, besser geeignet für einen Zahnersatz sei Stahl, noch besser Edelstahl, aber der sei in diesem Land nicht aufzutreiben. Dagegen könne man ausgezeichneten Stahl bekommen. Man müßte einfach ein Stückchen des zerfetzten Rohres des Gebirgsgeschützes absägen, das von einem Rohrkrepierer auseinandergerissen worden war. Dieses Stahlstück könne man dann in die Form des Zahns feilen. Das würde zwar eine langwierige Arbeit, aber man habe ja Zeit. Erforderlich seien eine Eisensäge und ein Schraubstock.
Es war in dieser Zeit, daß Gottschalk nach dem Essen oftmals einen Druck im Magen verspürte, zuweilen auch Brechreiz, ohne sich aber jemals übergeben und damit erleichtern zu können. Zunächst glaubte Gottschalk, er habe etwas Verdorbenes gegessen, obwohl er sich dann wieder sagen mußte, daß die Filets den abgeschossenen Ochsen frisch aus den Rippen geschnitten und sogleich gegrillt worden waren. Nach drei Tagen ging er zu Stabsarzt Otto. Gottschalk mußte sich Jacke und Hemd aufknöpfen und rücklings auf den Boden legen. Otto fuhr ihm mit den Fingerspitzen unter die Rippen in den Magen und sagte, holen Sie mal tief Luft. Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Hottentotten und einem Österreicher, fragte er und sagte dann: Gastritis, vielleicht auch ein Geschwür. Am besten essen Sie Haferschleim. Und dann keine Aufregung. Die Rindviecher, die Sie hier abtreiben, gehören doch nicht Ihnen.
Später sollte Gottschalk sich gerade daran erinnern, wie er auf dem steinigen Boden lag, daneben Stabsarzt Otto, dessen Fingerspitzen in seinen Leib drückten, und der stechende Schmerz, den Gottschalk beim Einatmen verspürte.
Er hätte sich einfach krank schreiben lassen können. Einfach in die Heimat zurückversetzen lassen. Aber merkwürdigerweise hielt er damals eben diesen naheliegenden Weg für unmöglich, ja, allein der Gedanke daran war peinigend, sich so zu verdrücken. Wobei Gottschalk sich selbst diese Entscheidung mit einem gewissen Stolz zu erklären versuchte, der ihn dazu trieb, keine Kompromisse einzugehen. Aber was ist Stolz? Auf jeden Fall verwarf Gottschalk diese Möglichkeit sogleich.
Er ritt durch eine Landschaft, die ihn noch vor wenigen Wochen begeistert hatte, ihn jetzt aber kalt ließ. Er überlegte, wie er in Keetmannshoop an Haferschleim herankäme.
Einmal, als er sich im Sattel umdrehte und zurückblickte, sah er am Horizont violett die Gipfel des Karrasgebirges. Da hatte er plötzlich den Eindruck, daß es nur Kulissen seien, die man jederzeit nach hinten wegklappen könnte.
In der Nacht, bevor sie Keetmannshoop erreichten, kam ein Artillerieleutnant herbeigestürzt, der den Stabsarzt suchte, mit dem Gottschalk am Feuer saß, und dann atemlos berichtete: Ein Verrückter säge an dem defekten Geschützrohr herum, mit so einer ganz kleinen Säge, und behaupte, er benötige die Stahlteile, um daraus Zähne für ein Kuhgebiß zu feilen. Er habe sich dabei auf eine Anordnung des Oberveterinärs Gottschalk berufen.
Expertise des Stabsarztes Dr. Otto für das Kommando der kaiserlichen Schutztruppe vom 3. 5. 05
Keinesfalls trifft zu, daß der Oberveterinär Gottschalk an einem sogenannten Tropenkoller leidet. Auch ist der Verdacht auf eine Geistesgestörtheit auszuschließen. Man kann sein Verhalten allenfalls als absonderlich bezeichnen, als eine übertriebene Interessennahme für alles Hottentottische, was sich auch daran zeigt, daß Oberveterinär Gottschalk versucht, die höchst komplizierte Namasprache zu erlernen. Das erklärt auch ein übersteigertes Mitgefühl an dem Schicksal dieses Stammes. Anläßlich einer Untersuchung – die im Feld stattfand und daher nicht den Anspruch auf klinische Gründlichkeit erheben kann konnte eine Reizung der Magenschleimhaut festgestellt werden. Die Reflexe waren normal.
Auf dem Ritt nach Keetmannshoop fragte Tresckow, was das denn für ein Schmöker sei, in dem Gottschalk sogar beim Reiten lese.
Kropotkin,
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