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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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versuchte, mit den Händen den austretenden Darm zurückzudrücken. Am Himmel wieder die Geier. Jemand delirierte im Morphium von Alpenveilchen. Otto und Haring: gute schnelle Handwerker. Otto, Stabsarzt, aber sehr unmilitärisch, erzählte den Verwundeten Witze. Haring beruhigte einen Reiter, dem das rechte Bein amputiert werden sollte, mit dem Hinweis, das Vaterland würde für seine Helden sorgen. Dennoch mußten ihn zwei Sanitäter halten. Ich drückte ihm die Chloroformmaske aufs Gesicht.

    Selbst so bissige Tiere wie die Ratten, die in unseren Kellern fortwährend miteinander kämpfen, sind einsichtig genug, wenn sie unsere Speisekammern plündern, nicht zu streiten, sondern einander bei ihren Plünderzügen und Wanderungen zu helfen, ja sogar ihre Invaliden zu füttern. (Kropotkin)

    Während die Aufständischen sich, Vieh und Hütten zurücklassend, nach Norden in das Große Karrasgebirge zurückzogen, während sich die beiden Abteilungen Koppy und Kamptz wie geplant am Westausgang der Narudasschlucht vereinigten, während Hauptmann Koppy besoffen und erschöpft vom Pferd stieg, um dem nüchternen, aber verbitterten Oberst Deimling Meldung zu machen, während Reiter, mit Bajonetten in den Pontoks herumstochernd, nach versteckten Aufständischen suchten und tatsächlich auch auf zwei Jungen stießen, während die Züge ausschwärmten und das umliegende Gelände absuchten, während vier Mann hinter einem Hakendornbusch eine Hottentottin vergewaltigten, während der Himmel wie gewöhnlich sich zu dieser Zeit orange färbte, während Oberarzt Haring endlich das Skalpell aus der Hand legen konnte, Stabsarzt Otto seinen letzten Witz erzählte, Gersdorff einen Schluck aus der Pulle nahm, Zeisse sich die Pfeife stopfte, da, als alles schon vorbei war, entschloß sich Gottschalk, ein Zeichen zu setzen, etwas zu tun gegen diese Qual der Menschen, etwas, was diese Gleichgültigkeit, diese in der sengenden Hitze einsetzende innere Vereisung aufbrechen könnte, bei sich, aber auch bei den anderen, etwas, das dieses verlorene Gleichgewicht, die Gerechtigkeit wiederherstellen könnte. Einen Moment dachte Gottschalk daran, diesen Oberst mit seinem Hühnerhundgesicht zu erschießen, ein verrückter Gedanke, wie er sich sogleich sagte, da sich nichts ändern würde. An dessen Stelle würde ein anderer treten, sofort, wahrscheinlich Major von Kamptz, der auch irgendeinem Tier ähnlich sah, Gottschalk wollte nicht einfallen, welchem. Nichts würde sich ändern. In seinem Schädel war ein gleichmäßiges Wummern, er sagte sich, daß es in dieser Höhe vom schnellen Berganlaufen käme. Dann dachte er wieder, es müsse von den Abschüssen der Geschütze kommen. Einmal glaubte er, unter den Fliehenden im Tal Katharina entdeckt zu haben. Er dachte, man müsse zu denen überlaufen, die unten im Tal flohen, in die man noch immer mit Schrapnells hineinschoß: Frauen, Männer, Kinder, Rinder, Ziegen und Schafe, ein wirres Durcheinander. Er wußte gar nicht, was er in diesem Moment da unten hätte tun können, aber die Vorstellung, jetzt zum Feind überzugehen, der sich weiter hinten verschanzt hatte, um die Fliehenden zu schützen, war, als könne man damit alle erlittenen Demütigungen und Verletzungen tilgen. In seinem Kopf war ein wirres Durcheinander, und ziellos lief er durch das Gelände.
    Das blieb ihm in Erinnerung, und vor allem auch dieses Bild: Die Bedienungsmannschaften der Geschütze standen da, die Zeigefinger in den Ohren und mit offenen Mündern, als wollten sie schreien oder singen, aber nicht hören, was sie da sangen. Im Tal sah man die kleinen Rauchwölkchen, wo die Granaten in der Luft zerplatzten und ihren Kugelregen über die Fliehenden ausschütteten.

    Später wurde Gottschalk zum Stab befohlen.
    Ein Offizier aus dem Stabe Deimlings fragte, wie das passieren könne, daß ein Oberveterinär zu Fuß durch die Landschaft stiefele. Gottschalk konnte darauf keine Antwort geben, aber die wurde auch nicht erwartet. Er erhielt den Befehl, sich zusammen mit einem anderen Veterinär um das Beutevieh zu kümmern. War schon die militärische Operation ein Fehlschlag, Morenga mit den Aufständischen entkommen, sollte wenigstens Vieh nach Keetmannshoop getrieben werden. Gottschalk bekam den Befehl, sich sofort ein Beutepferd auszusuchen und sich auf den Weg zu machen.
    Am Kraal, wo man die Pferde der Hottentotten schon zusammengetrieben hatte, traf Gottschalk den Rittmeister Tresckow, der sich gerade einen schönen

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