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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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sprechen zu können. Fand Gottschalk einmal nicht das richtige Wort, wartete Simon gleichgültig, bis Gottschalk es umschrieben oder aber in Deutsch gesagt hatte.
    Eines Tages begann Simon zu berlinern und zupfte sich nachdenklich seinen nur spärlichen Bart. Eine Angewohnheit des Professors für Völkerkunde Leonhardt Brunkhorst.
    Vor zwei Wochen war Professor Brunkhorst nach Keetmannshoop gekommen. Er trug einen selbstentworfenen, aus englischem Tuch gearbeiteten Reiseanzug, der mit seinen verschiedenen Gürteln, Taschen und Schnallen einen auffällig zweckmäßigen Eindruck machte. Oft erzählte Brunkhorst die Geschichte, wie er einmal mitten in der Kalahari-Wüste einen englischen Professor der Botanik getroffen habe, der ihn sogleich mit einem How do you do als einen Landsmann begrüßte. Der Mann habe ihm auch nach einer längeren Unterhaltung nicht glauben wollen, daß er einen deutschen Kollegen vor sich habe. Allerdings hatte Brunkhorst auch zwei Jahre in Oxford studiert. Er sammelte Volkssagen der Nama und arbeitete an einer Namagrammatik. Bei einigen der Offiziere erregte er bald Mißfallen, da er immer wieder von dem großen Vetter jenseits des Kanals redete, der weltläufiger, souveräner, fairer, diplomatischer, beherrschter, geschickter, taktvoller, kurzum den Deutschen meilenweit voraus war.
    Auf seinen Exkursionen trug der Professor stets ein schwarzes Lederetui bei sich, das er nur öffnete, wenn er einen interessanten Hottentottenkopf entdeckt hatte. Er zog dann ein übergroßes zirkelartiges Gerät aus verchromtem Stahl heraus und setzte es den entsetzten Hottentotten an den Kopf, wobei er in einem gepflegten Nama betonte, daß alles garantiert schmerzfrei sei. So vermaß er die Kopfformen der verschiedenen Namastämme und kam schon nach wenigen Monaten zu dem Ergebnis, daß man vom Schädel der Hottentotten nicht auf einen niedrigen Intelligenzgrad schließen könne, eher im Gegenteil.
    Professor Brunkhorst war mit der Absicht nach Keetmannshoop gekommen, in der näheren Umgebung nach den Überresten eines riesigen Fasses zu suchen. Er wollte den Wahrheitsgehalt einer Hottentotten-Geschichte überprüfen, die in der Gegend von Bethanien erzählt wurde, daß vor Jahrzehnten ein weißer Händler ein gigantisches Faß ins Land gebracht habe. Bei Geiaub soll der Mann das Faß verbrannt haben. Es war Brunkhorst allerdings nicht gelungen, die Stelle zu finden.
    Schliemann auf der Suche nach dem Hottentotten-Troja, witzelte man im Kasino.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 12. 7. 05
    Was das Schnarren unserer Offiziere, ist dem Kamel die Stinkdrüse am Hinterkopf: familiäres Erkennungssignal. Hier Schwielensohler, dort der Berufsstand zum Tode.
    Tagebucheintragung Gottschalks vom 13. 7. 05
    In zwei Wochen gehe ich mit einer Patrouille nach Heirachabis. Der Ort liegt einen Tagesritt von der englischen Grenze.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 16. 8. 05
    Sanftheit und Gelassenheit können, wie das Kamel beweist, auch über die spießigste Abwehr siegen. Mit den weichen Lippen vermag das Kamel Zweige mit fingerlangen Dornen abzubrechen und sich so geschickt ins Maul zu schieben, daß es von dem leben kann, was für sich so beschaffen ist, nicht gefressen zu werden. (Nachts.)
    Beim nochmaligen Lesen fällt mir die einseitige Betrachtungsweise auf. Es gibt doch nichts Freundlicheres und selbstgenügsameres als einen Dornenbusch, der im Sand wächst und dessen Dornen ihn allein gegen das Gefressenwerden schützen sollen. In der Regenzeit blüht er gelb.

    17. 8. 05
    Ich will versuchen, die Untersuchungen über die Kamele noch in Keetmannshoop abzuschließen, damit die Zucht von Kamelen systematisch begonnen werden kann. Die Entfernungen würden schrumpfen. Der wirtschaftliche Vorteil läge – im Frieden – auf der Hand. Mein Wunsch, dieses Land einmal von oben zu sehen. In einem Ballon über Wüsten, Savannen fliegen, die ausgetrockneten Flußbetten, die Schluchten des Karrasgebirges. Ballonfahrten böten sich auch für Patrouillen an. (Ich werde mich hüten, davon zu reden.) Ungefährdet würde man über das Land fliegen, absolut ruhig, ohne jedes Fahrgeräusch, wie ich gelesen habe, und dort niedergehen, wo eine Siedlung oder Wasserstelle ist. Wenn nur der Wind richtig weht, wie heute, von Westen.

    Als Brunkhorst hörte, daß Gottschalk in das Zentrum des Aufstandsgebietes abkommandiert worden war, bat er ihn, auf Schädel gefallener Aufständischer zu achten und sie ihm per Nachnahme nach

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