Morenga
aber stumpfsinnig. Kein Wunder, daß die meisten Troupiers soffen. Elschners Traum waren Generalstabskarten, mit kleinen roten und blauen Fähnchen, und Sichelschnittangriffe, die eine gegnerische Front (meist die französische) aufrissen oder, genauer, auftrennten. Elschner hatte tatsächlich das Zeug zu einem großen Strategen und hätte wahrscheinlich fünfunddreißig Jahre später die Operationspläne für Walküre und Barbarossa mitentwickelt, wenn ihm nicht im Jahre 1906 eine Hottentottenkugel das rechte Knie zerschmettert hätte. So blieb er in Südwest mit einem steifen Bein, heiratete die Tochter eines Bäckers aus Swakopmund und farmte am Schwarzrand. Jetzt aber, Gottschalk gegenüber auf einer Kiste sitzend, kritisierte er die deutsche Kriegführung und, bei allem Respekt, auch den Generalstabschef, den Grafen Schlieffen. Dieser führe noch immer Krieg gegen die Hottentotten unter einem traditionell europäischen Aspekt und habe nicht das revolutionär Neue mit einer ebenso neuen kriegswissenschaftlichen Taktik beantwortet. Dieser Kleinkrieg sei, ähnlich dem der Spanier gegen Napoleon, ein Guerillakrieg. Schon damals hätten sich die Franzosen militärisch nicht durchsetzen können. Dabei stünde es hier, ein Glück, weit günstiger. Nicht auszudenken, wenn hier mehr Menschen lebten. So aber könne man inzwischen die auf vierzehntausend Mann angewachsene Truppe, statt sie in Kolonnen durchs Land marschieren zu lassen, aufsplittern und neben jeden lebenden Hottentotten, wenn man ihrer habhaft würde, Frauen, Kinder und Greise eingeschlossen, einen Mann zur Bewachung stellen. Genaugenommen müßte man das auch, denn jeder Hottentotte sei potentiell ein Rebell. Das hat dann aber logischerweise erhebliche Konsequenzen. Zwei Möglichkeiten böten sich für eine radikale Pazifizierung des Landes an. Einmal nach dem Motto General Trothas: Ein guter Hottentott ist ein toter Hottentott. Das wäre die radikale Lösung. Oder aber man sperrte alle Hottentotten in Lager, wobei es noch die Mischform gäbe: Gefangennahme und Dezimierung, die momentan praktiziert werde. Auf Dauer stelle sich dann aber doch ein neues Problem: Die in den Lagern Eingesperrten könnten sich nicht einmal selbst ernähren, man müßte also einen besonders resistenten Rest durchfüttern. Aber selbst diese Alternative ist nur sehr bedingt realisierbar, da man der Hottentotten nicht habhaft werde. Sehen Sie, sagte Elschner, der Generalstab sollte den aufständischen Hottentotten doch auf Knien danken. Hier könnte in einem kleinen, überschaubaren Maßstab erprobt werden, was später in einem weit gefährlicheren und größeren Fall anzuwenden wäre. Er denke an einen Guerillakrieg in einer bevölkerungsreichen Kolonie, Kamerun oder Ostafrika, oder aber, noch brisanter, an einen Kleinkrieg im europäischen Großkrieg, also in Frankreich oder Rußland. Bisher habe man einfach auf die Truppenstärke und Materialüberlegenheit gesetzt, aber keine Varianten durchgespielt. Nicht einmal neues Kriegsmaterial, vom MG einmal abgesehen, habe man hier entwickelt oder ausprobiert. Zugegeben, das Pferd gibt dem Reiter ein hochherrschaftliches Gefühl, genaugenommen aber ist es ein Anachronismus, abhängig von Wasser, Weide und Laune, gar nicht zu reden von solchen Imponderabilien wie dem Paarungstrieb. Solche Mucken kennt das Automobil nicht. Es ist doch lächerlich, wie wir hier mit diesen störrischen Ochsen durchs Land ziehen. Dagegen die Möglichkeit eines Aeroplans. Dort, in der Luft, liegt die Zukunft der Kriegführung. Einsicht gewinnt man nur von oben. Überdenken müsse man auch, mit welchen Mitteln man den Aufständischen im nichttechnischen Bereich begegne. Die momentan üblichen Reaktionen seien eher plump: Pontoks abbrennen, mit Geschützen wahllos in Männer und Frauen feuern. Gratifikationen müßten eingeführt werden, die gerade nicht bei den Betroffenen zu Trotzreaktionen führen dürften. Hebt man eine Hottentottenwerft aus, so knallt man nicht wie bei einer Hasenjagd die Männer und Frauen nieder, um dann die Kinder aus sentimentalen Gefühlen in die Steppe zu jagen, sondern umgekehrt, man läßt vor den Augen der Eltern ein Kind erschießen, fragt, wo das Versteck der Rebellen ist, kommt keine Antwort, erschießt man zwei Kinder, dann vier, acht und so weiter, bis jemand das Versteck preisgibt. Man weiß doch, wie sehr die Hottentotten an ihren Kindern hängen. Man könnte Statistiken über Verhörmethoden führen und so die
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