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Morenga

Morenga

Titel: Morenga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Timm
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von Nietzsche: daß alle starken Lustgefühle (Übermut, Wollust, Triumph, Stolz, Verwegenheit, Erkenntnis, Selbstgewißheit und Glück an sich) als sündlich, als der Verführung verdächtig gebrandmarkt worden sind?

    12. 9. 05
    Das andere wäre ein neues Zeitgefühl, durch eine Logik der Sinne. Nicht durch die Logik der Zwecke und Mittel. Die zurechtgestutzten Sinnhecken. Die Elschner-Logik.
    Merkwürdig bizarre Gesteinshaufen liegen hier in der Landschaft, ausgehöhlt vom Regen, von diesen lärmenden Temperaturstürzen.

    Mitte September erreichte eine Patrouille die Wagenkolonne, die eine Meldung brachte: Morenga hatte die Verhandlungen mit den deutschen Unterhändlern abgebrochen und den Kampf wiederaufgenommen. Am 15. September sei die Pferdewache der 12. Kompanie bei Nochas überfallen und alle Tiere seien abgetrieben worden.
    Leutnant Elschner sagte nur: Da haben wir den Salat. Er ließ die Spitze der Kolonne um drei Reiter verstärken. Als Gottschalk sich abends zu Elschner ans Feuer setzte, hatte der sein Gewehr neben sich liegen. Elschner kam, sprach er über Morenga, regelrecht ins Schwärmen. Der Zeitpunkt sei von Morenga genau richtig gewählt worden. Der Fuchs wußte natürlich, daß von unserer Seite die Verhandlungen nur zum Schein geführt wurden, damit wir in aller Ruhe die Witboois ausheben und zugleich hier im Süden Proviantdepots anlegen konnten. Jetzt ist der ganze Süden ungedeckt, und er kann in aller Ruhe sich holen, was er braucht, während die 12. Kompanie zu Fuß durch die Steppe stiefelt. Aber das ist immer noch weniger laut, als mit diesen blöd glotzenden, brüllenden Ochsengespannen durchs Aufstandsgebiet zu ziehen.
    Elschners Wertschätzung von Automobilen und Aeroplanen und die damit verbundene Abqualifikation aller nur denkbaren Tiere als militärische Transportmittel als mittelalterlich, komisch, ulkig, vorsintflutlich, mußte Gottschalk wie einen Vorwurf auf sich beziehen. Er fühlte sich, ohne daß Elschner das jemals ausgesprochen hatte, durch ihn auf eine ganz grundsätzliche, auch mit bestem Wollen nicht behebbare Weise in Frage gestellt.
    An dem Tag, als die Nachricht den Transport erreichte, Morenga habe den Deutschen wieder den Kampf angesagt, befahl Gottschalk Zeisse, ab sofort das Tier nicht mehr zu tränken. Zeisse hatte jeden Abend seine liebe Not, das fürchterlich brüllende Tier (immerhin sind Kamele dafür berühmt, über Meilen Wasser zu wittern) von den Wasserstellen abzuhalten, während sich ringsum die Pferde und Ochsen vollsoffen.
    Ein Experiment, erklärte Gottschalk, als Leutnant Elschner, vom Gebrüll des Tieres alarmiert, hinzukam.

    Tagebucheintragung Gottschalks vom 16. 9. 05
    Der Unbelehrbare wurde klug, als er blutete. (Nama-Sprichwort)

    Am sechsten Tag, als aus einer Staubwolke der entlaufene Dominikanerpater Meisel geritten kam, da saß Gottschalk schon so tief auf dem abgeschlafften Höcker, daß er den Pater nicht als erster entdeckte.
    Der Pater sah aus wie ein Eisenbahnmaschinist, der auf einem Maulesel durch die Steppe ritt, gekleidet in blaues Drillichzeug, schwere geschnürte Stiefel an den Füßen. Erst als er die lederne Ballonmütze abnahm, kam ein scholastischer Kopf zum Vorschein, eine rundgewölbte Glatzenstirn, ein mittelblonder Haarkranz, ein faltenloses Kindergesicht. Mit einem großen weißblauen Taschentuch fuhr er sich über Stirn, Glatze und Nacken. Er stellte sich als Pater Meisel vor und sagte zwischendurch zu seinem wegziehenden Maulesel: Ruhe, verdammte Hurenkacke.
    Die Frage, ob Meisel überhaupt noch Pater sei, die von seinem Orden mit einem eindeutigen Nein, von ihm selbst mit einem nicht weniger eindeutigen Ja beantwortet wurde, hatte einige Zeit die Geistlichkeit im Schutzgebiet beschäftigt. Pater Malinowsky, der der Missionsstation Heirachabis vorstand und dem man aufklärerisches Gedankengut nachsagte, hatte Meisel als Diakon in die Station aufgenommen. Meisel hatte Pater Malinowsky begleitet, der als Vermittler zwischen Morenga und den Deutschen die Verhandlungen zustande gebracht hatte. Jetzt, nachdem Morenga die Verhandlungen abgebrochen hatte, war Meisel vorausgeritten. Er war im südlichen Teil des Schutzgebietes bei den Offizieren gefürchtet als militanter Pazifist. Zudem bohrte er mit seinen Fragen rücksichtslos in dem Innenleben seiner Gesprächspartner herum. Ließ sich detailliert die Lebensläufe erzählen, fragte nach, warum jemand gerade das und nicht etwas anderes gemacht habe, warum er darauf nur

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