Morenga
standen Werftarbeiter, die meisten trugen einen Zampel über die Schulter, einige hatten einen Henkelmann in der Hand. Sie standen schweigend auf dem schwankenden Ponton.
Als die Barkasse sich näherte, kam Bewegung in die Gestalten. Einer, der neben Gottschalk stand, sagte etwas, nicht sehr laut und so, als spreche er nur vor sich hin: Dat is ’n banning grooten Hot vor son lütten Dötz. Blif man liver to Hus. Der das sagte, trug eine praktische kleine Schirmmütze, während er, Gottschalk, seinen Hut wie eine Dame mit der Hand festhalten mußte. Gottschalk tat, als habe er nichts verstanden. Auch keiner der Wartenden sagte etwas.
Gottschalks Vater hatte immer Platt gesprochen. Nur wenn bestimmte Kunden in seinen Kolonialwarenladen kamen, Frau Doktor Hinrichsen, die Frau des Arztes, oder Frau Pastor Jakobsen beispielsweise, wechselte er in ein langsames sperriges Hochdeutsch.
Die Barkasse legte an und war noch nicht vertäut, da sprangen schon die ersten Arbeiter über den gischtenden Abgrund in das dümpelnde Boot, andere drängten nach. Gottschalk bekam wie zufällig einen kräftigen Knuff in die kurzen Rippen, und für einen Moment blieb ihm die Luft weg, beinahe hätte er die Hand vom Hut genommen, jemand spuckte ihm den braunen Priemsaft ziemlich dicht vor die Füße. Der Ponton war plötzlich leer, und nur Gottschalk stand noch nach Atem ringend da. Schon warf der Schiffsjunge den Tampen los, die Barkasse nahm wieder Fahrt auf, schnell vergrößerte sich der Abstand zwischen der Bordwand und dem Ponton, Wellen schwappten hoch. Da entschloß sich Gottschalk zu springen. In der Barkasse starrten ihm alle entgegen, und später war er sicher, in den Gesichtern eine angespannte Schadenfreude gesehen zu haben. Gottschalk sprang, die Hand am Hut, mit einem gewaltigen Satz, fing geschickt seinen Sprung und das Stampfen der Barkasse mit weichen Knien ab, wie er es als Junge auf dem Heringslogger seines Großvaters in Glückstadt gelernt hatte. Als er sich wieder aufrichtete und in die Gesichter der Arbeiter blickte, um darin Bewunderung oder doch wenigstens Enttäuschung zu finden, sah ihn niemand mehr an.
Möglicherweise ist Gottschalk hier, in Wind und Regen, auf der stampfenden Barkasse, eingekeilt zwischen den Kesselkloppern von Blohm und Voß, die Hand am Hut, aufgefallen, wie sinnvoll doch die Anweisung in der Heeres-Dienstvorschrift war, die festlegt, daß Offiziere grundsätzlich Erster Klasse zu fahren haben. So wurden Spannungen und Konflikte vermieden, die mit herkömmlichen Mitteln gar nicht auszutragen waren, denn von diesen Leuten, die ihn umstanden, war keiner satisfaktionsfähig. Man hätte sich prügeln müssen, genauer, man hätte Prügel bezogen, aber in jedem Fall wäre man damit seines Offizierspatents verlustig geworden. Gottschalk hatte sich damals über seinen Schutztruppenhut geärgert (auf den er zunächst sehr stolz gewesen war), dessen Filzkrempe, vom Regen getränkt, langsam schwer und schlapp wurde und ihm schließlich ins Gesicht hing. Er versuchte seine Wut damit zu besänftigen, daß er sich sagte, dieser Hut sei eben nicht für europäische Witterungsverhältnisse gemacht, obwohl es ja auch, wie er gelesen hatte, in Südwest eine Regenzeit geben sollte.
An den Landungsbrücken stieg er als erster aus, fand sogleich eine Droschke und ließ sich erleichtert in die trockenen Polster fallen und zum Uhlenhorster Fährhaus fahren, wo er mit seinem ehemaligen Studienkollegen verabredet war.
Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann, hatte Gottschalk als Junge in Glückstadts Straßen gespielt.
Tagebucheintragung Gottschalks vom 7. 9. 05
Das andere oder das Neue: Der Jumpingbean Tree. Dessen genaues Gegenteil: Das Zusammenschlagen der Hacken. Klack. Das Strammstehen. Der deutsche Aar. Das Abstrakte. Keine Fragen haben. Jawoll sagen. Ordnungsliebe. Ist es nicht doch bezeichnend, daß wir im Deutschen, wenn wir etwas tun wollen, immer sagen: Das geht in Ordnung.
8. 9. 05
Das Wort Ordnung würde ich aus dem Nama mit sinnfällig übersetzen. Heute nachmittag fiel etwas Regen, aus einer einzelnen schwarzen Wolke, wenige, aber dicke Tropfen, die sich dann am Boden staubig kugelten.
9. 9. 05
Ich habe Zeisse gefragt (eine dumme Frage), ob er vergangenen Oktober noch bei Blohm und Voß gearbeitet habe. Es wäre dann denkbar gewesen, daß wir damals auf der Barkasse nebeneinander gestanden sind. Natürlich war er da nicht mehr auf der Werft.
10. 9. 05
Paddentraum.
11. 9. 05
Ist das
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